Sanft kommt der Tod
Kasten aber machten deutlich, dass es ihr gelang. Ein Tischkalender aus Papier, auf dem zwei zuckersüße Welpen abgebildet waren, wies das korrekte Datum auf.
Außerdem hing eine Reihe Fotos an der Wand. Eins, auf dem Rayleen und ihre Klassenkameradinnen und -kameraden der Größe nach in ihren adretten Uniformen nebeneinanderstanden, ein Schnappschuss aus dem Urlaub, auf dem sie wunderbar gebräunt und windzerzaust zwischen ihren ebenfalls gebräunten, windzerzausten Eltern stand, ein Bild von ihr allein in der Uniform der Schule und ein anderes von ihr in einem pinkfarbenen Rüschenkleid.
Auf dem Fensterbrett waren ein paar Grünpflanzen in pinkfarbenen und weißen Übertöpfen aufgereiht. Offenbar konnte Rayleen - oder ihre Mutter - von diesen beiden Farben einfach nicht genug bekommen.
Eve tippte auf das Mädchen selbst.
Die Kleine hatte mehr Garderobe, als Eve während all der Jahre ihrer eigenen Kindheit insgesamt besessen hatte, doch ihr Schrank war geradezu erschreckend aufgeräumt. Ballett-und Fußballsachen, drei identische Uniformen für die Schule, Sonntagskleider, Freizeitkleider, Garderobe zum Spielen - wobei unter den jeweiligen Sachen immer das passende Schuhwerk angeordnet war.
Unzählige Bänder, Klipse, Haargummis und Nadeln waren ordentlich in einer extra dafür vorgesehenen Schublade verstaut.
Zwar gab es keine Schildchen mit dem Hinweis, wo sie welches Kleidungsstück getragen hatte, aber jede Menge Sachen - Hefte, Taschen, Sticker, Stifte, Farbkästen - wiesen ihren Namen auf, und das große Kissen auf dem Bett, der flauschig weiche, pinkfarbene Morgenmantel und die farblich passenden Pantoffeln waren mit den Worten PRINZESSIN RAYLEEN bestickt.
Sie hatte ihren eigenen Kalender, in dem sämtliche Termine festgehalten waren, und ihr eigenes Adressbuch, in dem Eve die Namen ihrer Schulfreundinnen, einiger Verwandter und verschiedene Telefon-und Handynummern ihres Vaters fand.
Eve tütete beides ein.
»Dürfen Sie diese Sachen mitnehmen?«
Eve hatte bereits gewusst, dass Rayleen hereingekommen war, drehte sich aber jetzt erst zu ihr um. »Solltest du nicht woanders sein?«
»Ja.« Die Kleine sah sie mit einem charmanten, verschwörerischen Lächeln an. »Bitte verraten Sie mich nicht. Ich wollte Ihnen nur ein bisschen bei der Arbeit zusehen. Vielleicht gehe ich eines Tages auch einmal zur Polizei.«
»Ach ja?«
»Daddy denkt, ich wäre eine gute Anwältin, und Mami hofft, dass ich einmal etwas mit Kunst oder mit Tanz mache. Ich tanze wirklich gern. Aber noch lieber gehe ich irgendwelchen Dingen auf den Grund. Ich glaube, deshalb werde ich vielleicht einmal Kriminaltechnik studieren. Ich weiß, dass das so heißt, denn ich habe extra nachgesehen. Kriminaltechniker studieren die Beweismittel. Sie sammeln die Beweise, aber dann studieren andere Leute sie. Ist das richtig?«
»Mehr oder weniger.«
»Ich finde, dass jeder Beweise sammeln kann, aber es ist noch viel wichtiger, sie zu studieren und zu analysieren. Nur verstehe ich nicht, weshalb mein Adressbuch und andere Sachen von mir Beweise sind.«
»Deshalb bin ich die Polizistin und nicht du.«
Rayleen verzog beleidigt das Gesicht. »Es ist nicht besonders nett, so etwas zu sagen.«
»Ich bin auch nicht besonders nett. Ich nehme diese Dinge mit, weil ich sie mir ansehen muss, wenn ich mehr Zeit habe. Dein Vater bekommt eine Quittung für alles, was die Wohnung verlässt.«
»Ist mir egal. Ist schließlich nur ein blödes Buch«, stellte Rayleen schulterzuckend fest. »Ich habe die Adressen und Telefonnummern sowieso alle im Kopf. Weil ich mir Zahlen hervorragend merken kann.«
»Schön für dich.«
»Ich habe im Internet geguckt. Sie haben schon viele Fälle gelöst.«
»Das heißt >abgeschlossen<. Wenn du mal Polizistin werden willst, musst du das richtige Wort verwenden. Wir schließen Fälle ab.«
»Sie schließen Fälle ab«, wiederholte die Kleine wie ein Papagei. »Das werde ich mir merken. Sie haben auch den Fall abgeschlossen, bei dem diese Männer in ein Haus eingebrochen und alle außer einem kleinen Mädchen ermordet haben. Sie war noch jünger als ich und ihr Name war Nixie.«
»So heißt sie immer noch.«
»Hat sie Ihnen wichtige Hinweise gegeben? Hat sie Ihnen geholfen, den Fall abzuschließen?«
»In der Tat. Solltest du nicht langsam mal zu deiner Mutter gehen oder so?«
»Ich habe auch versucht, Hinweise zu finden.« Sie trat vor einen Spiegel, betrachtete ihr eigenes Spiegelbild und bauschte ihre Haare
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