Sanft sollst du brennen
anstoßen.«
Kurz darauf wurde Bryce ins Büro geführt. Als er das Tablett auf dem Couchtisch erblickte, bediente er sich gleich selber. Er trank einen großen Schluck und stieß einen tiefen Seufzer aus. Erst dann begrüßte er seinen Bruder.
Sie hatten sich seit über sechs Monaten nicht mehr gesehen, und Roger stellte erschrocken fest, wie sehr sich sein Bruder verändert hatte. Er war so abgemagert, dass im Vergleich zu ihm ein Model dick war. Das Weiß in seinen Augen war gelblich, und sein Gesicht war teigig und aufgedunsen.
Leberzirrhose, dachte Roger. Kurz vor dem Exitus.
»Lange nicht gesehen«, sagte Roger.
»Ja«, stimmte Bryce zu. »Wann war das letzte Mal?«
»Auf Onkel MacKennas Geburtstagsparty.«
»Ah ja, stimmt.«
»Wie geht es dir, Bryce?«
Sein Bruder ging sofort in die Defensive. »Gut. Warum fragst du? Sehe ich etwa so aus, als ob es mir nicht gut ginge?«
Sollte er es wagen, ihm die Wahrheit zu sagen?
»Ich habe gehört …«
»Was? Was hast du gehört?«
»Vanessa hat erwähnt, dass du nicht so auf der Höhe wärst.«
»Meine Frau weiß nicht, was sie redet.«
Roger zuckte mit den Schultern. Wenn Bryce nicht zugeben wollte, dass seine Leber hinüber war, würde er sich nicht mit ihm streiten.
»Ist sie schon ausgezogen? Als wir das letzte Mal miteinander geredet haben, hat sie damit gedroht, dich zu verlassen.«
Bryce schenkte sich noch etwas zu trinken ein.
»Getrennte Schlafzimmer, getrenntes Leben«, sagte er. »Aber um Vanessa brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Ihr fehlt es an nichts. Seit ein paar Monaten kümmert sich jemand um ihre Bedürfnisse. Sie glaubt natürlich, ich wüsste von nichts, aber ich kann hören, wie sie sich mitten in der Nacht am Telefon mit ihm verabredet. Ich nehme es ihr nicht übel. Und für uns scheint es so zu funktionieren. Wir sind beide zu faul, um etwas zu ändern, und wenn sie ginge, könnte sie nicht mehr ständig an mir herumnörgeln, weil ich zu viel trinke.«
»Wenn sie immer noch versucht, dich davon abzubringen, muss ihr noch was an dir liegen.«
»Sie liebt mich auf ihre eigene komische Art«, sagte er. »Und was ist mit dir, Roger? Wie geht es dir?«
»Ich habe große Pläne«, erwiderte er. »Investitionen.« Hoffentlich wollte Bryce keine Details wissen. »Ich werde ein paar Veränderungen in meinem Leben vornehmen.«
Sein Bruder schien nicht an seiner Zukunft interessiert zu sein. »Hast du in der letzten Zeit mit Ewan geredet?«
»Kurz, aber es ist schon eine Weile her.«
Er erwähnte nicht, dass er ihn in einer Bar getroffen hatte, um sich eine Pistole von ihm zu leihen. Bryce war immer so von oben herab, und Roger wusste, dass es unweigerlich Streit geben würde, wenn er von der Waffe erführe. Bryce mochte betrunken sein, aber er konnte immer noch unglaublich arrogant reagieren.
»Wie geht es ihm denn so?«, fragte Bryce, obwohl ihn auch das nicht wirklich interessierte. Er wollte nur die Zeit totschlagen, bis der Anwalt das Testament eröffnete.
»Er hat mir nichts Neues erzählt.«
»Macht er immer noch Bodybuilding?«
»Ich habe ihn nicht gefragt, aber ich nehme es an.«
»Wenn man vom Teufel spricht.«
Die Brüder drehten sich um, als Ewan das Zimmer betrat. Bryce begrüßte ihn, indem er das Glas hob.
Roger fand, dass Ewan fitter denn je aussah. Er war tief gebräunt, weil er im Studio regelmäßig auf die Sonnenbank ging. Von der Taille abwärts war er schlank, aber sein Brustkorb und seine Oberarme waren muskelbepackt. Natürlich stemmte er noch Gewichte.
Allerdings war ihr jüngster Bruder nicht angemessen gekleidet. Er trug eine Khakihose und ein kurzärmliges Polohemd, das aussah, als ob es an seinem Oberkörper festklebte. Ewan hatte nie erwachsen werden wollen. Anscheinend hing er immer noch so an seiner Collegezeit, dass er sich kleidete wie ein Student.
Ob er wohl mit seinen Kumpels noch Leute mit der Wasserpistole nass spritzte?, fragte sich Roger, aber er hütete sich, den Gedanken laut zu äußern. Ewan war äußerst reizbar, und Roger hatte keine Lust, mit ihm aneinanderzugeraten.
Ewan blieb gerade mal dreißig Sekunden lang höflich.
»Schön, euch wiederzusehen.« Bevor jedoch seine Brüder etwas erwidern konnten, fuhr er fort: »Wer von euch beiden stinkt?«
»Vermutlich Roger«, antwortete Bryce.
Bevor Roger protestieren konnte, fuhr Bryce fort: »Du dünstest das Nikotin aus jeder Pore aus. Du solltest diese schreckliche Angewohnheit wirklich langsam aufgeben.«
Die erste Runde
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