Sanft wie der Abendwind
diesen Gedanken? Nichts davon ist passiert.“
„Das wusste ich bis vor einigen Monaten nicht, und es hat mich sehr belastet. Egal, wie viel Gutes mir im Leben zuteil geworden ist, eins hat mir immer gefehlt: mein erstes Kind.“
„Da Genevieve deine Adresse kannte, hätte sie sich in einer Notlage bestimmt an dich gewandt.“ Sebastian trank einen Schluck Portwein. „Zumindest hätte sie von dir Unterstützung für das Kind gefordert. So wie du sie mir geschildert hast, war sie sozusagen eine Überlebenskünstlerin.“
„Ja, so lange, bis das Glück sie verlassen hat.“ Hugo betrachtete nachdenklich die glühende Spitze der Zigarre. „Ich habe deine Loyalität immer geschätzt, Sebastian, und es war tröstlich, mit dir zu reden, wenn mich die Gedanken an die Vergangenheit belasteten. Mit dir konnte ich über Dinge sprechen, die ich deiner Mutter gegenüber niemals erwähnen würde. Du musst mir jetzt eins versprechen: Lass dich von dem, was du über Genevieve weißt, nicht zu Vorurteilen gegen Lily verleiten.“
„Das fällt mir schwer. Du hast doch einmal versucht, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Wie alt war Lily damals?“ „Vierzehn. Allerdings habe ich mich an Genevieve gewandt, nicht direkt an Lily.“
Sebastian zuckte die Schultern. „Sie war damals alt genug, um sich selbstständig zu entscheiden, selbst wenn man Druck auf sie ausgeübt haben sollte. Sie hat sich gegen dich entschieden.“
„Nein, denn offensichtlich hat man ihr nie gesagt, dass ich mich nach ihr erkundigt hatte. Das habe ich vorhin aus dem Gespräch mit ihr herausgehört. Ich hätte damals die Angelegenheit weiterverfolgen können, habe es aber nicht getan, sondern die Hoffnung aufgegeben, mein erstes Kind jemals kennenzulernen. Ich finde es traurig, dass erst eine Tragödie uns zusammengeführt hat, und trotzdem bin ich dem Schicksal für diese zweite Chance dankbar.“
„Ich will dir ja die Freude nicht verderben, Hugo, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass Lily mit ihrem Besuch irgendetwas bezweckt. Das lässt mir keine Ruhe. Du sollst nicht wieder verletzt werden!“
„Ich bitte dich nochmals, nicht voreingenommen zu sein, Sebastian. Das schaffst du doch, oder?“
„Ja, sicher. Wenn sie mir keinen Grund gibt, schlecht von ihr zu denken, werde ich sie so akzeptieren, wie sie auf den ersten Blick erscheint.“
Es war nicht die Zusicherung, die Hugo hören wollte, aber mehr konnte er, Sebastian, nicht sagen, ohne direkt zu lügen. Er war entschlossener denn je, Lily Talbots bisheriges Leben gründlich durchleuchten zu lassen.
Als er mit Hugo eine Stunde später die Bibliothek verließ, saß Natalie im Wintergarten, einen Stapel Bücher und einen Notizblock vor sich auf dem Tisch. „Mom ist im Whirlpool“, informierte sie ihren Vater.
„Und Lily?“
„Die geht mit dem Hund spazieren. Sie wollte sich noch ein bisschen Bewegung verschaffen, bevor sie ins Bett geht.“
„Dann setze ich mich zu deiner Mutter in den Whirlpool. Das wird meinem Rücken guttun. Sebastian, wir sehen dich doch spätestens Samstag in einer Woche?“
„Ja, sicher“, erwiderte er. „Ich kann doch deine Geburtstagsfeier nicht verpassen, Hugo.“
Langsam und etwas schwerfällig ging Hugo ins Haus.
„Er scheint ziemliche Schmerzen zu haben“, bemerkte Sebastian.
„Ja, andernfalls hätte er nicht darauf verzichtet, Lily am Flughafen abzuholen.“ Natalie warf ihm einen schalkhaften Blick zu. „Sein Pech war aber dein Glück, stimmt’s? So konntest du die traute Zweisamkeit genießen.“
„Was soll das denn nun wieder heißen?“ Lily hatte doch nicht etwa verraten, dass sie und er die vergangene Nacht in einem Bett verbracht hatten? Wenn doch, würde er ihren Kopf fordern!
„Ach, Sebastian, tu doch nicht so unschuldig! Dauernd siehst du sie an, und wenn sie deinen Blick erwidert, wirst du ganz unruhig.“
„Ich tue was?“
Natalie lachte. „Dachtest du, ich würde es nicht merken? Ich kenne dich, Bruderherz, und obwohl ich es noch nicht oft beobachtet habe, kann ich die Zeichen deuten: Du bist verliebt.“
„Und du hast einen Sonnenstich“, erwiderte er gereizt. „Es fällt mir ja schon schwer, höflich mit ihr zu reden!“
„Ja, das ist mir aufgefallen. Genau das war der erste Hinweis.“
„Möglicherweise verlieben sich die Jungen, mit denen du herumziehst, schon nach vierundzwanzig Stunden in ein Mädchen, Natalie, aber in meinem Alter …“ Er verstummte kurz und schlug sich an die Stirn. „Warum verteidige
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