Sanft wie der Abendwind
Wangen wie pures Gold. „Bitte, lass mich los, Sebastian“, flüsterte sie. „Ich ertrage es nicht, wenn du lieb zu mir bist und mich zu trösten versuchst.“
„Ich bin nicht lieb zu dir“, widersprach Sebastian ihr rau. „Ich begehre dich, Lily. Mehr denn je. Und ich glaube, du begehrst mich auch.“
Ohne zu antworten, wandte sie das Gesicht ab.
Er schüttelte sie leicht. „Das tust du doch, oder?“
„Hör auf, mich ins Kreuzverhör zu nehmen“, rief sie. „Du bist hier nicht im Gerichtssaal, und ich bin nicht die Angeklagte.“
„Antworte mir“, bat er und ließ die Lippen über ihre Wange gleiten. „Wenn ich mich geirrt habe, lasse ich dich los.“
„Oh, ich begehre dich durchaus“, gestand Lily ihm resigniert. „Und dafür verachte ich mich.“
Oben im Haus wurde eine Lampe angeknipst, und der Lichtschein fiel auf die Stelle, an der Sebastian und Lily standen. Vom Fenster aus hätte man sie ohne Schwierigkeiten sehen können. Womöglich beschloss gleich einer der anderen, ihn und Lily auf dem Spaziergang zu begleiten, der doch nur ein Vorwand war, um mit ihr allein zu sein. Jetzt ging es ihm, Sebastian, nicht mehr darum, ungestört mit ihr zu reden, aber ungestört wollte er auf jeden Fall bleiben!
„Lass uns ein bisschen auf den See rudern“, schlug er vor. „Da draußen kann uns niemand zufällig über den Weg laufen. Wir nehmen das Beiboot aus dem Bootshaus.“
Lily zögerte kurz, dann schob sie ihn weg, hielt ihn aber noch an den Händen fest. Vor Unentschlossenheit schien sie zu vibrieren wie eine Stromleitung.
„Tu mir den Gefallen“, bat er eindringlich und zog Lily wieder näher zu sich. „Komm mit.“
8. KAPITEL
Das Wasser war so dunkel und zugleich klar wie geschwärztes Glas. Nur das Eintauchen der Ruder war zu hören und der Ruf eines Wasservogels in der Ferne. Zügig ruderte Sebastian das Boot zur anderen Seite der etwa eineinhalb Kilometer vor ihnen liegenden Insel.
„Als Natalie und ich noch Kinder waren, sind wir oft hierher gekommen“, erzählte er Lily, nachdem sie an den schmalen Sandstrand gewatet waren und er das Boot an einem Baum festgemacht hatte.
„Als Erwachsene nicht?“
Aus dieser an sich einfachen Frage hörte er noch eine zweite heraus, die er beantwortete. „Ich war noch nie mit einer Frau hier, falls du das wissen willst. Du bist wirklich die Erste, Lily.“
Er wollte sie bei der Hand fassen, aber sie wich ihm aus und ging, den Kopf gesenkt, dicht am Wasser das Ufer entlang. Der Sand knirschte leise unter ihren Füßen.
Sebastian hätte Lily lieber in den Armen gehalten, als ihr nachzusehen, und er tröstete sich damit, dass er aus dieser Entfernung ihre anmutige, schlanke Erscheinung bewundern konnte. Sie trug helle Shorts und ein pastellfarbenes Baumwolltop, und ihre sonnengebräunte Haut, die tagsüber golden wie Honig schimmerte, sah im Dämmerlicht dunkler aus. Das Haar fiel ihr wie ein Schleier über den Rücken.
Wieso habe ich sie auf den ersten Blick für unscheinbar gehalten? fragte Sebastian sich verwundert. Sie war wunderschön, auf eine zarte, unaufdringliche Art, und stellte auffallend attraktive Frauen bei Weitem in den Schatten.
Nach ungefähr zwanzig Metern blieb sie stehen und wandte sich ihm zu, ihre Stimme drang klar und deutlich zu ihm herüber. „Ich nehme allerdings nicht an, dass ich auch die Letzte sein werde, mit der du hier bist.“
Er zuckte die Schultern. „Wie soll ich das jetzt schon wissen? Ich weiß nur eines: Jedes Mal, wenn ich mir sage, es sei eine schlechte Idee, mich mit dir einzulassen, will ein Teil von mir es nicht akzeptieren.“
„Ich kann mir vorstellen, welcher Teil!“
„Nein, Lily, ich meine eine Beziehung, die über körperliche Anziehung hinausgeht.“
„Du kannst dieser Beziehung keinen Namen geben. Oder du willst es nicht.“ Ihre Stimme klang scharf.
„Du möchtest, dass ich von Liebe spreche, aber wir wissen doch beide, dass es dafür noch zu früh ist.“ Er unterdrückte einen Seufzer. „Wir kennen uns noch nicht mal zwei Monate. Können wir uns nicht darauf einigen, dass wir uns die Definition unserer Beziehung bis zum Ende des Sommers aufheben? Lass uns doch erst mal abwarten, wie sich alles entwickelt.“
„Und inzwischen haben wir heimlich Sex, wenn uns danach zumute ist, lassen die anderen aber glauben, wir seien nichts als gute Freunde?“
„Wäre es denn so schlimm, wenn wir nur Freunde sein könnten, Lily?“
Der Mond stieg über einen Hügelkamm im Osten
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