Sanft wie der Abendwind
womit sie ihn noch zu verwöhnen gedachte.
„Ich hoffe, wir beide können uns kurz zurückziehen und die letzten Neuigkeiten austauschen“, fügte sie hinzu. „Wie wäre es mit einem Picknick auf dieser Insel, die du mal erwähnt hast? Mir ist nach Ruhe und Entspannung zumute. Du siehst, wenn ich das sagen darf, auch ein bisschen übermüdet aus. Bekommst du denn genug Schlaf?“
Lily konnte sich gerade noch beherrschen, um nicht zu rufen: Nein, den hat Sebastian nicht bekommen, denn er war die halbe Nacht lang auf und hatte Sex mit mir auf der Insel, die du so gern sehen möchtest, und wenn er dich dorthin mitnimmt, drehe ich ihm den Hals um.
Anscheinend spürte Natalie die sich aufbauenden Spannungen und stieß sie leicht an. „Hol dir ein Handtuch, Lily, und lass uns von hier verschwinden, bevor ich Penny etwas an den Kopf werfe.“
Die beiden gingen zum See und kühlten sich ab. Erst als sie sich auf den sonnendurchwärmten Planken des Stegs ausstreckten, bemerkte Natalie: „Ich bin offensichtlich nicht die Einzige, die es keine fünf Minuten in Pennys Nähe aushält.“
„Ach, du liebes bisschen! Hat man mir das so deutlich angesehen?“
„Ja, du sahst aus, als wärst du seekrank: ganz grün im Gesicht.“ Natalie kicherte. „Das mache ich dir aber nicht zum Vorwurf. Stell dir vor, du wachst nach einer Operation aus der Narkose auf und siehst als Erstes Pennys Gesicht! Kein Wunder, dass vielen Patienten schlecht wird. Und das Getue, das sie Sebastians wegen gemacht hat!“
Lily versuchte, gerecht zu bleiben. „Vielleicht hat sie ihn wirklich gern.“
„Wir etwa nicht?“ Natalie sah sie spöttisch an. „Ach, reden wir über etwas Interessanteres! Stell dir vor, gestern habe ich im College quasi noch zwischen Tür und Angel die Einladung bekommen, nach Indien zu fahren! Ich bin so aufgeregt, dass ich es fast nicht aushalte. Nach der Abschlussprüfung soll ich mit acht Studienkollegen einige Wochen in Bombay arbeiten, natürlich unter Aufsicht eines Teams von Sozialarbeitern und Ärzten. Falls ich das Angebot annehme …“
„Wieso falls?“, rief Lily spontan. „Natalie, das ist sowohl eine Auszeichnung als auch eine wunderbare Gelegenheit für dich, die du auf keinen Fall ausschlagen solltest!“
„Ich hatte gehofft, dass du das sagst, weil ich Hilfe gebrauchen könnte, um Mom und Dad zu überreden, mich mitfahren zu lassen. In ihren Augen bin ich noch immer ein Baby und kaum fähig, allein die Straße zu überqueren. Wenn du mich unterstützt, kriegen wir sie bestimmt rum. Spätestens am Dienstag muss ich zusagen, deshalb schlage ich vor, wir bearbeiten Mom und Dad gleich heute Nachmittag, während die liebe Penny sich mit Sebastian auf der Schlangeninsel herumtreibt.“
„Schlangeninsel?“, hakte Lily nach.
„So heißt sie nicht wirklich, aber Sebastian und ich haben sie als Kinder so getauft, weil wir dort immer viele Schlangen entdeckt haben.“ Natalies Lachen war unwiderstehlich fröhlich. „Vielleicht wird Penny von einer gebissen.“
„Wenn ja, dann garantiert von einer männlichen namens Sebastian“, meinte Lily ätzend.
Es war keine einfache Aufgabe, Hugo und Cynthia zu überreden, ihre Tochter sechs Wochen in Indien verbringen zu lassen, aber schließlich stimmten sie zu, dass es eine Gelegenheit sei, die nicht verpasst werden durfte.
Anschließend fuhren Lily und Natalie ins nächste Dorf, um Eiscreme fürs Dessert zu kaufen. Als sie zurückkamen, war es früher Abend, und die Sonne schien nicht länger.
„Es sieht nach einem Unwetter aus“, meinte Hugo und betrachtete die dunklen Wolkenbänke, die sich am Horizont auftürmten. „Der Hund ist unruhig, und der Wind frischt auf. Ich hoffe, Sebastian hat daran gedacht, das Beiboot ins Bootshaus zurückzubringen.“
„Ach, ist er wieder hier?“ Lily blickte kurz auf, während sie Teller auf den Tisch stellte. „Ich dachte, er und Penny seien noch auf der Insel.“
„Nein, sie sind zurückgekommen, kurz nachdem du mit Natalie ins Dorf gefahren warst. Penny ist nach Stentonbridge zurückgefahren, Sebastian hat beschlossen, ihr zu folgen. Wir sind heute also nur zu viert beim Abendessen.“
Cynthia kam, sich die Hände an der Schürze abwischend, aus der Küche. „Wir sollten oben besser die Eimer bereitstellen. Bestimmt gibt es einen Wolkenbruch, und die Abdeckung um den Schornstein ist noch immer nicht repariert.“
Tatsächlich brach um neun Uhr ein Gewitter los und näherte sich mit erschreckender
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