Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
David oder Carolyn jetzt hier wären, würden sie vielleicht etwas völlig anderes erzählen.« Er blickte den Psychologen entschlossen an. »Beide haben sich auf mich verlassen. Ich habe sie im Stich gelassen.«
»Wie sie Sie im Stich gelassen haben.«
Carter schnaubte verächtlich. »Ich habe nicht mein Leben gelassen, weil mein bester Freund ein Dummkopf war und meine Frau mich betrogen hat.«
»Sie haben sie nicht umgebracht. Sie konnten den gefrorenen Wasserfall nicht schnell hinaufsteigen, um Davids Sturz zu verhindern, und Carolyn war auf dem Weg zu ihrem Liebhaber, als sie aufs Glatteis geriet – ihr Wagen kam von der Straße ab und stürzte in eine Schlucht. Das hätten Sie nicht verhindern können.«
»Wir hatten davor einen Streit.«
»Trotzdem.«
»Ich hätte verhindern müssen, dass sie sich überhaupt ins Auto setzte.«
»Hätten Sie es denn verhindern können?«, fragte der Therapeut, und die Uhr auf dem Kaminsims tickte laut die Sekunden.
»Ich weiß es nicht.« Carter schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich nicht.« Er verlagerte sein Gewicht auf der Couch, griff in seine Hosentasche und zückte die Brieftasche mit seiner Dienstmarke. »Schützen und dienen – so steht es doch schließlich hier drauf.« Seine dunklen Augen verrieten, wie aufgewühlt er war. »Und ich konnte weder meinen besten Freund noch meine Frau retten.«
»Sie waren noch nicht bei der Polizei, als David starb.«
»Aber ich war bei der Polizei, als ich die Scheidung verlangte und Carolyn weinend das Haus verließ.«
»Haben Sie versucht, ihr zu folgen?«
»Nur bis zum Stadtrand«, erwiderte Carter, und seine Augen wurden schmal. Randall wusste, dass der Gesetzeshüter jetzt in sein Inneres blickte und nicht das Abenddunkel vor dem Fenster sah, sondern die Unfallszene, die seine Frau das Leben gekostet hatte.
»Und warum?«
»Weil sie auf dem Weg zu ihm war«, sagte Carter, wandte den Kopf und sah den Psychologen wieder an. »Hören Sie, ich finde, so kommen wir nicht weiter.« Er nahm seine Jacke und seinen Mantel vom Kleiderständer im Flur und griff nach der Türklinke. »Wenn ich das Gefühl habe, dass ich noch eine Sitzung benötige, rufe ich Sie an.«
Randall lächelte nur. »Wie Sie wünschen. Aber ich glaube, es gibt da noch einige Fragen, mit denen Sie sich auseinander setzen sollten.«
»Wissen Sie was, Doc? Die wird es immer geben.« Damit ging er hinaus und die Hintertreppe zum Erdgeschoss hinunter. Randall wartete kurz und trat dann an das Fenster, aus dem Carter wenige Minuten zuvor nach draußen geschaut hatte. Der Sheriff wischte den Schnee von seiner Windschutzscheibe und stieg in den Chevrolet Blazer. Gerade als er den Wagen aus seiner Parklücke am Rand der kleinen Seitenstraße setzte, bog die letzte Patientin auf den Parkplatz ein.
Randall ging zurück an seinen Schreibtisch und griff in die Schublade. Mit einem kurzen Anflug schlechten Gewissens schaltete er den kleinen Rekorder aus, mit dem er die gesamte Sitzung aufgezeichnet hatte.
Sheriff Carter wusste es wahrscheinlich selbst nicht, aber er litt unter Todessehnsucht, die mit dem Schneefall über ihn kam. Der Sheriff hatte nicht nur die Menschen, die ihm lieb waren, im Winter verloren, sondern darüber hinaus auch eine erhebliche Anzahl lebensbedrohlicher Situationen erlebt, und alle diese Vorfälle hatten sich im tiefsten Winter ereignet. Sein eigenes Fahrzeug war mehr als einmal von der Straße geschleudert. Als er ein Kind aus einer Hütte rettete, in der die Eltern eine gewalttätige Auseinandersetzung ausfochten, hatte der Vater, verzweifelt, betrunken, arbeitslos und voller Wut auf die ganze Welt, Carter versehentlich ins Bein geschossen. Carter hatte während eines winterlichen Unwetters, das mit dem derzeitigen vergleichbar war, eine eingeschneite ältere Frau gerettet, und bei seiner Ankunft war die unverantwortlich hoch eingestellte Gasheizung explodiert. Überraschenderweise hatten sowohl er als auch die Frau überlebt. Und dann war da noch der Unfall beim Angeln, als sein Boot einen Felsen rammte und im eiskalten Wildwasser des Columbia River kenterte. Von einem anderen Boot aus war der Unfall beobachtet worden, und man war wie durch ein Wunder noch rechtzeitig zur Stelle gewesen, um ihn zu retten.
Früher oder später aber würde das Glück Carter im Stich lassen, und seine Tollkühnheit würde ihm zum Verhängnis werden.
So war es immer.
Endlich funktionierten die Kameras wieder … Er starrte auf den Bildschirm und
Weitere Kostenlose Bücher