Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
Nacht hatte sich die Welt drastisch verändert, und all diese beruhigenden Geräusche und Gerüche traten in den Hintergrund.
Carter hatte sich telefonisch angemeldet, und knapp fünf Minuten später traf er ein mit der entsetzlichen Nachricht, Lynnetta Swaggart sei verschwunden.
Er sah schlimm aus. Unter seinen vor Schlafmangel roten Augen hingen schwere Tränensäcke. Seine Stirn war sorgenvoll zerfurcht. Ein dunkler Bartschatten überzog Kinn und Wangen, und er roch nach Zigarettenrauch. Körperlich wirkte er müde bis auf die Knochen, doch hinter der erschöpften Fassade schimmerte etwas anderes durch, ein Carter, der dank Adrenalin, Koffein und Nikotin auf Hochtouren lief. »Ich wollte es Ihnen persönlich mitteilen«, sagte er, »und Sie fragen, was genau sich gestern Abend abgespielt hat, bevor ich ins Theater kam. Sie und Rinda sind womöglich die Letzten, die Lynnetta Swaggart gesehen haben.«
Lebend.
Er hatte es nicht ausgesprochen, doch das Wort stand im Raum, beinahe mit Händen greifbar. Jenna wandte den Blick ab und kämpfte gegen die Tränen. Lynnetta. Warum Lynnetta? Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass Lynnetta Swaggart tot war. Genauso, wie die Wahrscheinlichkeit zunahm, dass Sonja Hatchell und Roxie Olmstead nicht mehr lebten.
»Lynnetta hat ihren Mann also gar nicht angerufen?«
»Nein. Er nahm an, dass sie länger arbeitete, und hat erst gegen halb zehn versucht, sie anzurufen.«
»Als wir gerade gegangen waren«, ergänzte Jenna, die nun wieder ein wenig besser bei Kräften war und sich sehr aufrecht hielt.
Nachdem Carters Anruf sie früh an diesem Morgen aus dem Schlaf gerissen hatte, war sie in Jeans und Sweatshirt geschlüpft und hatte sich rasch das Haar hochgesteckt. Dann war sie, dicht gefolgt von Critter, die Treppe hinuntergeeilt, gerade als Jake den Chevrolet Blazer des Sheriffs durchs Tor einließ.
»Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass sie weggelaufen ist«, sagte er nachdenklich, obwohl sie beide wussten, dass diese Annahme nicht realistisch war.
»Ohne Auto, und das bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt?«
»Vielleicht hat jemand sie mitgenommen. Jemand, den sie kennt.« Neben der Entschlossenheit in seinem Blick nahm sie Traurigkeit wahr.
»Das glauben Sie doch selbst nicht.«
»Keine Sekunde lang«, gab er zu und ließ endlich ihren Arm los, als habe er gerade erst bemerkt, dass er ihn die ganze Zeit über umfasst hielt. »Lassen Sie uns genau rekonstruieren, wie der gestrige Abend verlaufen ist. Wer im Theater war, ob Lynnetta Anrufe bekommen hat, wer hereingeschaut hat, wer telefoniert hat, ob sie E-Mails geschickt hat, ob sie irgendwie bekümmert wirkte und so weiter. Vermutlich wird die Staatspolizei Sie auch noch vernehmen, Lieutenant Sparks, schätze ich. Er wirkt anfangs mitunter etwas einschüchternd, aber er ist einer von den Guten. Ich weiß nicht, wer vom FBI sich mit Ihnen in Verbindung setzen wird, aber die Agentin, die für diese Angelegenheit zuständig ist, weiß, was sie tut. Wir kriegen den Kerl.«
»Bevor er noch jemanden entführt?«
Carter presste die Lippen zusammen, und sie hätte die scharfen Worte gern zurückgenommen. »Wir tun unser Möglichstes.«
»Sie werden rasch arbeiten müssen«, sagte sie, ging zur Kaffeemaschine und mahlte Kaffee. »Wer er auch sein mag, er ist anscheinend unersättlich.« Sie füllte den Wassertank und drückte die Einschalttaste.
Carter nickte. »Sieht aus, als wollte er den Einsatz erhöhen. Er eskaliert.«
Critter stieß ein leises »Wuff« aus, als die Hintertür sich öffnete. »Ich bin’s«, rief Turnquist. Jenna spähte den kurzen Flur entlang und sah ihren Bodyguard bei der Waschküche stehen bleiben, wo er seine Stiefel auszog. »Was gibt’s?«
Carter legte seinen Hut auf den Tisch und hängte seine Jacke über die Lehne eines Küchenstuhls. Darunter hatte er das Schulterhalfter mit der Pistole umgeschnallt, was Jenna daran erinnerte, wie gefährlich ihr Leben und das Leben der übrigen Bürger von Falls Crossing neuerdings war.
Während der Kaffee durchlief und der Duft die Küche erfüllte, setzte sich Carter an den Tisch und berichtete, Lynnetta Swaggart habe ihren Mann nicht angerufen, sei nicht nach Hause gekommen, und im Theater sei sie auch nicht aufzufinden. Der Reverend hatte am Vorabend noch herumtelefoniert, nach seiner Frau gesucht, und Carter überprüfte in Gemeinschaftsarbeit mit der Staatspolizei alle, die im Theater gewesen waren oder Lynnetta in den
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