Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
leiden kann oder nicht. Ich kenne ihn gar nicht.«
»Du hast dich nie darum bemüht, ihn kennen zu lernen.«
»Na schön, wenn du es unbedingt wissen willst – er hat mich heute Morgen angehalten«, gestand Jenna. »Hat mir ein Bußgeld aufgebrummt.«
»Um Himmels willen, warum hast du das nicht gleich gesagt?«
»Ich wollte nicht mehr daran denken, okay?« Jenna erklärte mit knappen Worten, wie Carter sie mit defektem Bremslicht erwischt hatte. »Er war heute Morgen nicht sonderlich angetan von mir, und ich glaube nicht, dass ich ihm sympathischer werde, wenn ich jetzt in sein Büro gehe und mich über ein paar fehlende Kleinigkeiten beklage.«
»Er tut nur seine Arbeit.«
»Während tote Frauen gefunden werden, das halbe Land keinen Strom hat und die Straßen vereist sind, macht er mir Scherereien wegen meiner defekten Bremsleuchten?« Jenna war immer noch sauer.
»Du hättest ihm sagen sollen, dass du meine Freundin bist.«
»O ja, damit hätte ich ganz sicher großartig Punkte gemacht«, spöttelte Jenna und dachte an Carters strenges Gesicht im Schneetreiben. »Lass uns Carter einfach von meiner Tanzkarte streichen, ja? Das dürfte nicht allzu schwierig sein, zumal ich gar keine besitze.«
Ihr Handy klingelte, und sie klappte es auf. »Hallo?«, meldete sie sich ein wenig scharf.
»Mom?«, ertönte Allies besorgte Stimme. Sogleich verrauchte Jennas Ärger. »Hast du meinen Rucksack?«
»Nein … Na ja, vielleicht doch, ich sitze im Moment nicht im Pick-up. Hast du ihn im Wagen liegen gelassen?«
»Weiß nicht, aber könntest du ihn mir bitte zur Schule bringen? Da sind meine Mathe-Aufgaben drin, und wenn ich sie heute nicht abgebe …«
»Bin schon unterwegs, Allie. Keine Sorge.« Im Stillen hoffte sie inständig, dass Allie den Rucksack wirklich im Pick-up vergessen und nicht zu Hause liegen gelassen hatte. »Ich suche ihn und gebe ihn im Sekretariat ab.«
»Danke, Mom.«
»Kein Problem«, sagte Jenna, froh, dass ihre jüngere Tochter die Halsschmerzen offenbar vergessen hatte. Wenigstens vorläufig. »Ich muss los«, rief sie über die Schulter zurück. »Eine Mini-Krise in der Schule.«
Gerade als sie an der Tür angelangt war, wurde diese geöffnet, und die zierliche, lebhafte Lynnetta Swaggart trat eilig ein. »Du liebe Zeit, ist das eisig da draußen«, beklagte sie sich und rieb sich die Hände. Lynnetta, die Frau eines ortsansässigen Predigers, arbeitete in einem Steuerbüro in der Stadt, aber nebenher nähte und änderte sie auch Kostüme für die Bühnenproduktionen.
»Und es wird noch viel schlimmer«, prophezeite Rinda.
»Herrliche Neuigkeiten«, erwiderte Lynnetta und sah dann Jenna an. »Gehst du?«
»Ja. Wir sehen uns später.«
»Sie ist auf dem besten Wege, eine ›ganz normale Mutter‹ zu werden«, zog Rinda sie auf.
Lynnetta lachte leise, und ihre nussbraunen Augen funkelten schelmisch. »Gibt es so etwas überhaupt?«
Wahrscheinlich nicht , dachte Jenna, während sie ins Freie trat. Sie schlug den Kragen ihrer Jacke hoch und zog ihn sich fest um den Hals. Lynnetta hatte Recht, was das Wetter betraf. Die Temperatur schien in der kurzen Zeit, die Jenna im Theater verbracht hatte, noch erheblich gesunken zu sein.
Sie hauchte auf ihre Hände, pfiff nach Critter und stieg in den Pick-up. Tatsächlich, da lag Allies Rucksack hinter der Vorderbank. »Hast du Lust auf einen kleinen Ausflug?«, fragte sie den Hund. »Wir fahren noch einmal zur Harrington Junior High School.«
Der Hund winselte. Jenna tätschelte seinen grauen Kopf, ehe sie vom Parkplatz fuhr. »Ja, ich weiß. Mir geht’s genauso.«
Endlich brach sie auf.
Gut.
Er saß in seinem Pick-up auf dem Parkplatz vor dem Lebensmittelgeschäft. Mehrere weitere Pick-ups, Minivans und Autos standen auf dem verschneiten Pflaster, doch niemand beachtete ihn. Durch die Frontscheibe überblickte er den Parkplatz der alten Kirche und sah zu, wie Jenna den alten Halbtonner durch die beinahe leeren Straßen der Stadt steuerte.
Ohne noch einen Augenblick zu verlieren, startete er den Motor und fuhr zügig vom Parkplatz, während sie gerade ein paar Häuserblocks weiter von der Hauptstraße abbog. Er folgte ihr in sicherem Abstand. Zwischen ihr und ihm befanden sich noch ein Ford Explorer und ein Lieferwagen.
Hin und wieder erhaschte er trotzdem einen Blick auf sie, und dann spürte er das vertraute Prickeln im Blut, das einsetzte, wenn der Winter kam. Ihr so nah zu sein, war gefährlich, wenngleich er ein Alibi parat
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