Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
kritisch, während er in seinen Kaffee blies. »Nicht schlecht. Hat Scott die gemacht?«
»Mhm. Mein Sohn entpuppt sich als Künstler«, sagte Rinda.
Wes schob die Zettel wieder in den Ordner und wandte sich Jenna zu. »Hast du von der Leiche gehört, die oben am Catwalk Point gefunden wurde?«
»Nur ganz kurz, heute Morgen in den Nachrichten.«
»Gruselig, wie?«, bemerkte Rinda. »Mit so etwas hätte man in dieser Gegend niemals gerechnet. Wir sind hier schließlich nicht in der Großstadt. Hier kennt doch beinahe jeder jeden.«
Jenna widersprach: »Ich glaube nicht, dass überhaupt irgendjemand einen anderen Menschen wirklich kennt.«
»Das liegt daran, dass du nicht aus dieser Gegend stammst«, behauptete Rinda.
»Nein, ich glaube, sie hat Recht. Ich habe mal gehört, es gibt das öffentliche Leben, das persönliche Leben und das private Leben. Das öffentliche Leben ist das, das jeder während deiner täglichen Routine mitbekommt, das persönliche Leben offenbart man der Familie und den engsten Freunden, aber das private Leben, das betrifft das, was nur du selbst über dich weißt und was du vor allen anderen verbirgst.« Wes trank seinen Kaffee aus und ließ seine Worte nachwirken.
»Willst du damit sagen, dass du mich in Wirklichkeit gar nicht kennst, obwohl wir Geschwister sind?«
»Ich kenne deine private Seite nicht. Deine intimsten Gedanken oder Handlungen. Keine von euch beiden« – er deutete erst auf Rinda, dann auf Jenna, wobei er ihr fest in die Augen sah – »hat eine Vorstellung davon, wie ich bin. Privat.«
»Was soll das? Willst du uns Angst einjagen?«, fragte Rinda.
»Ich sag nur, wie es ist.« Er zwinkerte Jenna zu, ließ seine Tasse auf Rindas Schreibtisch stehen und eilte die Hintertreppe hinauf.
»Manchmal hat er so seltsame Anwandlungen«, flüsterte Rinda. »Dann erscheint es mir kaum vorstellbar, dass wir wirklich verwandt sind.«
»Das hab ich gehört!«, rief er von oben. »Vergiss nicht: Big Brother sieht und hört dich!«
»Dann hör gut zu: Mach dich endlich an die Arbeit.«
»Ja, ja …«
Rinda verdrehte die Augen. »Das habe ich nun davon, dass ich ihm und Scott gestattet habe, hier im Theater die Strippen zu ziehen.«
Zwanzig Minuten später knarrten die Treppenstufen unter Wes’ Schritten. »Ich glaube, ich habe den Defekt gefunden«, verkündete er, während er Rindas Büro betrat. »Ich lege eine neue Leitung, und damit dürfte das Problem behoben sein.«
»Das will ich hoffen.«
»Vertrau mir«, sagte er, und sein Blick schweifte zu Jenna, während er den Reißverschluss seiner Jacke hochzog. »Meine kleine Schwester. Ich sag’s ja immer, sie hat einfach kein Vertrauen.«
»Begrenztes. Mein Vertrauen zu dir hat seine Grenzen«, konterte Rinda.
Er sah auf die Uhr und verzog das Gesicht. »Muss los.« Mit einem Lächeln zu Rinda und Jenna fügte er hinzu: »Ihr scheint ja hier alles im Griff zu haben.«
»Verlass dich lieber nicht darauf«, neckte Rinda ihren Bruder. Er winkte und wandte sich zum Gehen. Seine Schritte polterten auf dem Holzfußboden, als er zur Tür hinausging. Die Doppeltüren schlugen heftig hinter ihm zu.
Rinda fröstelte in dem kalten Luftzug. »Wir müssen eine Möglichkeit finden, wie wir Wärmedämmung einbauen können.« Sie ging zum Thermostat und drehte die Heizung höher. »Die zahlenden Gäste sollen doch nicht frieren. Ach, da fällt mir ein, ich wollte dich was fragen.«
»Schieß los.«
»Hast du dir das schwarze Seidenkleid zurückgeholt – du weißt schon, das Etuikleid mit den Perlen am Ausschnitt? Das Kleid, das du in Resurrection getragen hast?«
»Zurückgeholt? Nein. Ich habe es doch der Truppe gestiftet. Wieso?«
Feine Falten zeigten sich zwischen Rindas Brauen. »Es ist verschwunden.«
»Verschwunden?«
»Ja. Lynnetta war am Wochenende hier und wollte ein paar Änderungen an dem Kleid vornehmen, aber sie konnte es nicht finden.«
»Aber es hing doch in dem großen Bühnenschrank.«
»Ich weiß. Dort habe ich selbst nachgeschaut.«
»Ich habe es letzte Woche noch gesehen.« Überzeugt, dass sie das fragliche Kleidungsstück finden würde, ging Jenna hinter die Bühne in den Bereich, in dem sich früher das Kirchenbüro und der Aufenthaltsraum des Pfarrers befunden hatten. Im Lauf der Jahre war er immer wieder verändert und umgestaltet worden, sodass er jetzt aus einem Labyrinth von Umkleideräumen und Schränken bestand. Dort befanden sich drei Schminktische mit Spiegeln sowie ein ziemlich großer
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