Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
hatte für den Fall, dass jemand ihn hier entdeckte. Das war das Angenehme an dieser Stadt: Er konnte sich unter die Einwohner mischen und sich mit ihnen unterhalten, ohne dass irgendjemand wusste, wer er in Wirklichkeit war oder was er tat. Er war jedermanns Freund und doch für alle ein Fremder. Er sah, wie Jenna auf den Parkplatz der Junior High School einbog, folgte ihr und stellte seinen Wagen in einer freien Parkbucht nicht zu weit von ihr entfernt ab.
Sie bemerkte ihn nicht.
Sie war so auf ihren Auftrag konzentriert, dass sie geradewegs ins Schulgebäude eilte und gar nicht wahrnahm, dass er in der Nähe war.
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und sah flüchtig seine Augen im Rückspiegel.
Eisblau.
Eindringlich.
Tödlich.
Doch das wusste sie nicht.
Noch nicht.
6. Kapitel
D ie Schule lag nicht weit von der Stadtmitte entfernt. Jenna parkte ihren Wagen und versuchte, die kalte Luft einfach zu ignorieren, die über den Schulhof fegte, als sie Allies Rucksack in das rote Backsteingebäude trug. Es hatte bereits zum ersten Mal geklingelt, und Schüler und Schülerinnen, die im Aufenthaltsraum zusammengehockt hatten, stoben in alle Himmelsrichtungen davon, unterhielten sich laut, liefen durcheinander, lachten und neckten einander. Jenna konnte Allie in der Gruppe nicht entdecken, doch dafür bemerkte sie eine Gruppe von Mädchen an der Tür zur Sporthalle. Sie starrten sie an, und eines deutete sogar mit dem Finger auf sie.
Daran solltest du dich allmählich gewöhnt haben. Solange es DVDs und Videos gibt, wird dich immer irgendwer erkennen. Sie lächelte der Kleinen zu und winkte. Die Blonde, die auf sie gezeigt hatte, ließ hastig die Hand sinken und wurde hochrot im Gesicht.
»Ruhm«, sagte eine Männerstimme, »kann manchmal furchtbar lästig sein, wie?«
Jenna drehte sich um und sah Travis Settler, der gerade das Gebäude betrat. Der Vater von Allies Freundin Dani war Witwer und zeigte ein gewisses Interesse an Jenna. Sie hatten sich ein paar Mal auf einen Kaffee getroffen und an Elternabenden nebeneinander gesessen, was ihren Töchtern äußerst unangenehm gewesen war.
Sie konnte sich noch lebhaft an die anschließende Diskussion erinnern.
»Mom, du kannst dich doch nicht mit Mr Settler treffen«, hatte Allie gesagt, und es war ihr sichtlich peinlich gewesen, dass ihre Mutter mit Danis Vater anbändelte. Dani war diejenige gewesen, die ausgeplaudert hatte, dass Jenna und Travis sich früher am Tag in der Espresso-Bar in der Stadt getroffen hatten, und Allie hatte Jenna auf der Heimfahrt nach der Schule gehörig die Leviten gelesen.
»Und mit Mr Brennan darf ich mich auch nicht treffen«, hatte Jenna sich vergewissert, während sie durch die Stadt fuhren.
»Genau! Du darfst dich mit niemandem treffen. Es ist einfach zu peinlich!«
»Ich habe auch noch ein Leben, weißt du?«, gab Jenna zu bedenken.
»Aber du bist schon berühmt … und … die anderen haben dich im Kino gesehen und … na ja.« Allie zuckte die Schultern und wurde rot, dann blickte sie aus dem Seitenfenster des Jeeps. »Du weißt schon.«
»Im Kino haben sie mich fast nackt gesehen.«
»Genau!«, bestätigte Allie. »Weißt du eigentlich, wie komisch das ist?«
Ja, das wusste Jenna. Jeder Einzelne, den sie in dieser Kleinstadt kennen lernte, hatte sie wahrscheinlich bereits im Kino oder privat im Wohn- oder Schlafzimmer auf dem Bildschirm in verschiedenen Stadien der Entkleidung gesehen.
»Jedenfalls … kannst du dich nicht mit … Mr Settler treffen«, beharrte Allie mit hochrotem Gesicht. »Er hat die Filme gesehen. Ich weiß es. Die DVDs stehen bei ihm im Regal. Resurrection, Summer’s End, Beneath the Shadows, Bystander . Sämtliche Filme! Sogar Innocence Lost ! Der steckte im DVD-Player! Wie alt warst du, als der Film gedreht wurde? Vierzehn?«
»Fast«, gab Jenna zu.
»In meinem Alter. Das ist so unheimlich.«
Jenna hatte Allies Logik nichts entgegensetzen können.
Einmal hatte sie von dem Besitzer des Videoladens in der Stadt erfahren, dass sämtliche Filme, in denen sie mitgespielt hatte, weggingen wie warme Semmeln.
Allie hatte Recht. Das war unheimlich. Sogar sehr unheimlich.
Ganz gleich, wie oft sie sich sagte, dass das alles zur Sicherung ihres Lebensunterhalts beigetragen hatte – sie fühlte sich dennoch nie so recht wohl mit ihrem Ruhm und der Neugier, die sie weckte. Hier zumindest nicht. Jedes Mal, wenn sie in dieser Stadt jemanden kennen lernte, ob es nun ein Kellner war oder der
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