Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
habe zu lange damit gezögert«, gestand Jenna. Der Atem stand wie eine Wolke vor ihrem Mund. Himmel, war das kalt. Und es wurde von Minute zu Minute kälter.
»Na ja, uns wird schon was einfallen«, erklärte Hans und rieb sich das Kinn. »Ich habe vorerst genug Wasser für die Pferde in den Trögen, aber das wird heute Nacht gefrieren.« Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich hätte schon gestern Abend kommen und ein Tropfrohr einrichten sollen, damit das Wasser in den Rohren in Bewegung bleibt. Dann wäre mir vielleicht das defekte Kabel aufgefallen, und wir hätten uns dieses Problem hier erspart.«
»Es ist nicht Ihre Schuld, okay? Ich schätze, ich rufe am besten schnellstens einen Klempner.«
»Und einen Elektriker.«
»Und einen Mechaniker.« Sie hatten sich den Jeep bereits angesehen und versucht, ihn zu starten. Der verflixte Motor gab keinen Ton von sich.
»Kennen Sie nicht vielleicht jemanden, der gleich sämtliche Reparaturen übernehmen könnte?«
»Vielleicht – Jim Klondike ist ein prima Allround-Handwerker, aber wahrscheinlich hat er alle Hände voll zu tun.« Hans setzte seine Mütze ab und kratzte sich den beinahe kahlen Schädel. »Dann ist da noch Seth Whitaker und … ach, wie heißt er noch, der Typ, der oben am Fluss wohnt …« Er schnippte mit den Fingern. »Don Ramsby. Hat eine eigene Werkstatt. Kann allerdings sein, dass die alle ziemlich ausgelastet sind. Andere Leute stehen heute wahrscheinlich vor dem gleichen Problem wie Sie.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Während Hans sich dem Stall zuwandte, in dem die fünf Pferde untergebracht waren, die Allie so liebte, ging Jenna ins Haus und hoffte, einen ortsansässigen Handwerker aufzutreiben, der ihr aus der Notlage helfen konnte. »Schlechte Chancen«, sagte sie zu sich selbst. Im Büro öffnete sie die Schublade, in der sie ihre Telefonbücher aufbewahrte. Dabei bemerkte sie das rote Blinklicht des Anrufbeantworters. Sie kreuzte die Finger, hoffte, Allie möge nicht beschlossen haben, dass es ihr wieder schlechter ging oder dass sie noch etwas im Pick-up liegen gelassen hatte, und spielte die Nachrichten ab. Die erste kam von der High School. Cassie, die sie ein paar Blocks von der Schule entfernt abgesetzt hatte, galt offiziell als fahnenflüchtig. »Wunderbar«, zischte Jenna sarkastisch, ließ sich jedoch nicht dazu hinreißen, in Panik zu geraten. Cassie war wahrscheinlich mit Josh zusammen. Der Hausarrest bewirkte offenbar nicht viel. Der zweite Anruf kam von Harrison Brennan, ihrem Nachbarn. Er war knapp fünfzig, von der Air Force pensioniert, allein stehend und hatte schon mehr als einmal angedeutet, dass Jenna auf ihrer Ranch männliche Hilfe benötigte.
Heute, so dachte sie unglücklich, hat er Recht.
Das Problem war nur, dass Harrison sich selbst als den Top-Kandidaten für diesen Job betrachtete. Sie hatten sich ein paar Mal verabredet, und dass er sich für sie interessierte, war nicht zu übersehen. Sie selbst wusste nicht recht, wie sie zu ihm stand, aber die Liebe ihres Lebens war er nun wirklich nicht. Auch nicht ihr »Seelenverwandter« – ein Begriff, den sie nicht verstand und mit Skepsis betrachtete. Er war ein Freund. Und sie bezweifelte, dass er je mehr als ein Freund sein würde.
»Schade, dass ich dich verpasst habe«, hatte Harrison aufs Band gesprochen. »Ich wollte gerade nach dir sehen. Wie ich höre, steht uns ein gehöriges Unwetter bevor, und ich wollte fragen, ob du irgendwelche Hilfe brauchst. Ruf mich doch an, wenn du zurück bist.«
Sie zögerte. Sie wollte sich nicht von Harrison abhängig machen, wollte ihn nicht wissen lassen, dass er mit einigen seiner Ahnungen richtig lag oder dass sie dieses raue Land allein nicht bewirtschaften konnte. Als sie nach Falls Crossing zog, war sie fest entschlossen gewesen, dass sie es allein schaffen und niemandem verpflichtet sein würde. Wenn sie aus der Ehe mit Robert irgendeine Lehre gezogen hatte, dann die, dass der einzige Mensch, auf den sie sich verlassen konnte, sie selbst war. Also musste sie stark sein.
Seufzend fragte sie sich, ob womöglich doch ihre sämtlichen Bekannten in Kalifornien Recht gehabt hatten und ihr Entschluss, in den Norden zu ziehen, tatsächlich etwas überstürzt gewesen war. Sie selbst jedoch hatte es für das Beste gehalten, ihren treulosen Mann, die stagnierende Karriere und das Glitzerleben in Kalifornien hinter sich zu lassen. Sie hatte sich für ihre beiden Kinder und für sich selbst
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