Sanft will ich dich töten: Thriller (German Edition)
etwas »Realeres« gewünscht, und dieses große Anwesen in der gebirgigen Gegend am Columbia River war ihr aufgefallen, als sie ihre Freundin Rinda besuchte und auf einem Schild am Tor zur Ranch las, dass sie zum Verkauf stand. Sie hatte einen einheimischen Makler aufgesucht, sich die Ranch zeigen lassen und ein Angebot abgegeben. Ihr neues Heim bot ihr Privatsphäre und lag, wenn auch abgelegen, so doch so nahe an der I-84, dass sie die Gewissheit hatte, jederzeit ins Auto steigen und in gut einer Stunde in Portland sein zu können.
Bei ihrem Einzug war die Ranch ihr ideal erschienen. Sie lag inmitten von mit Eichen, Tannen und Fichten bewachsenen Hügeln, ein Bach, fünf Pferde und ein alter halb blinder Hund gehörten zu dem weitläufigen, zweistöckigen Holzhaus, und das hügelige Land war in ihren Augen genau das, was ihre zerrissene kleine Familie jetzt brauchte. Entzückende Sprossenfenster, ein Spitzdach, Erker und Fenstertüren, passend zur übrigen hölzernen Innenausstattung bleiverglast, wurden ergänzt durch zwei massive gemauerte Kamine. Das Haus und das umgebende Land – beides hatte vormals einem Holzmagnaten gehört – waren eigentümlich. Bukolisch. Ein Zufluchtsort.
Jenna hatte sich in die Ranch verliebt.
Allerdings hatte sie die eingezäunten Morgen Land zuerst im Spätsommer gesehen, als das Wetter warm und trocken war und der reißende dunkle Fluss einen spektakulären Anblick bot. Und zu dieser Zeit musste sie unbedingt dem Albtraum entkommen, zu dem ihr Leben geworden war. Dieses Haus war so geräumig und doch zugleich gemütlich mit seinem nordischen Blockhaus-Charme und lag nur eine halbe Wegstunde entfernt vom Skigebiet am Mount Hood. Das abgelegene Holzhaus schien wie geschaffen für sie und ihre Kinder.
Heute empfand sie gänzlich anders. Wenn der Wind durch die Schlucht pfiff, wenn Schnee und Eis drohten und man kein fließendes Wasser hatte, war die Ranch gar nicht mehr so bezaubernd.
Eine Sekunde nachdem sie den Anrufbeantworter abgeschaltet hatte, klingelte das Telefon. Jenna hob den Hörer ab, und noch bevor sie ein Wort sagen konnte, hörte sie: »Mom? Hier ist Cassie. Ich habe die erste Stunde verpasst, aber ich bin in der Schule und muss jetzt auflegen, sonst trägt Mr Rivers mich in Chemie als fehlend ein.«
»Warum bist du zu spät gekommen?«
»Das ist ein bisschen kompliziert. Ich erzähle dir alles, wenn ich nach Hause komme. Ich wollte nur, dass du Bescheid weißt. Bei mir ist alles in Ordnung. Tschüss.«
»Cassie, warte …«, bat sie, doch ihre Tochter hatte schon aufgelegt. »Tschüss«, sagte sie zu sich selbst und seufzte. »Toll.« Sie blickte auf Critter nieder, der brav mit dem Schwanz auf den Boden klopfte. »Einfach toll, verdammt noch mal.«
»Ich habe die Verkehrsbehörde von Oregon angerufen. Sie stellen Streukolonnen und Schneepflüge bereit. Wir müssen außer mit Schnee auch mit Eisregen rechnen. In dem Fall sind wir nicht nur auf Streife machtlos, sondern es wird auch mit Stromausfällen und liegen gebliebenen Fahrzeugen zu rechnen sein. Bisher ist die I-84 eisfrei und gut befahrbar, aber wenn es zum Schlimmsten kommt, wird die Staatspolizei sie sperren«, erklärte Deputy Hixx aus seinem Streifenwagen irgendwo in der Gegend. Carter hatte in seinem Büro die Mithörfunktion eingeschaltet und hörte dem Mann nur mit halbem Ohr zu, während er seine E-Mail abrief und darauf hoffte, vom Labor etwas über die unbekannte Tote zu erfahren, die Charley Perry gefunden hatte.
»Halten Sie mich bitte über den Zustand der Straßen auf dem Laufenden. Vielleicht haben wir ja Glück und das Unwetter bleibt aus.«
»Ja, ja«, entgegnete Hixx und ohne eine Spur von Humor. »Sie kennen doch die alte Redensart: ›Wenn die Hölle einfriert‹? Na ja, ich schätze, ungefähr dann würde es ausbleiben.«
Der neunundzwanzigjährige Bill Hixx war ein Typ, für den das Glas eher halb leer als halb voll war, doch dieses Mal hatte der Bursche wahrscheinlich Recht, wie Carter vermutete, während er auflegte. Und wenn das Unwetter so schlimm wurde wie vorhergesagt, würde es für alle die Hölle werden, besonders für die Elektriker, den Straßendienst und natürlich für die Gesetzeshüter. Carter blickte aus dem Fenster und bemerkte, wie sehr sich der Himmel verdunkelt hatte. Die grauen Wolken hingen bedrohlich tief und schienen sich über diesem Teil der Columbia-Schlucht zusammenzuballen.
Die Tür zu seinem Büro war nur angelehnt, und er hörte seine
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