Sanfte Eroberung
gewollt, dass sie es erfuhren. Basil war der Einzige, der die hässliche Wahrheit kannte - und das auch nur, weil er Lily zufällig kurz darauf über den Weg gelaufen war, als sie noch viel zu aufgewühlt war, um Stillschweigen zu bewahren.
Über Jahre hatte sie sich bemüht, die Geschehnisse zu verdrängen. Aber die Angst vor physischer Gewalt durch größere, stärkere Männer war ihr stets geblieben.
Weshalb sie nun, als Claybourne eine Hand an ihre Wange hob, instinktiv zusammenzuckte.
Sogleich hielt er mitten in der Bewegung inne und nahm seine Hand wieder herunter. »Sie sollten mir erlauben, Ihnen zu helfen«, riet er leise.
Dass er so sanft war, machte es nur noch schlimmer, wusste sie doch, dass sie vollkommen übertrieben reagiert hatte.
Unsicher nagte sie an ihrer Unterlippe. »Danke, aber ich denke, wir kommen allein mit O'Rourke zurecht.«
»Ich könnte wenigstens dafür sorgen, dass er nicht wieder herkommt.«
Mag sein, dachte sie, aber ich möchte nicht so tief in Ihrer Schuld stehen. »Ich halte es für besser, wenn Fanny mit O'Rourke verhandelt. Sie war einst seine Geliebte, folglich wird sie ihn am ehesten überzeugen können, uns mehr Zeit zu geben. Hingegen dürfte er es nicht gut aufnehmen, wenn Sie sich einmischen - zumal nicht, nachdem Sie mitansahen, was ich eben mit ihm machte.«
Claybourne zögerte. »Dennoch sollte er wissen, dass Ihre Freundinnen einen Beschützer haben. «
Lily lächelte matt. »Ich fürchte, das nützt nicht viel. Sie schulden O'Rourke immer noch eine große Summe.«
»Ah ja, die dreißigtausend Pfund.«
Diesmal schwieg er eine längere Weile, und als er wieder sprach, klang er sehr nachdenklich. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich zahle die Schulden, wenn Sie einwilligen, mich zu heiraten.«
Erschrocken blickte sie zu ihm auf. »Das können Sie nicht ernst meinen! «
Ein Flackern huschte über seine Züge. »Warum weigern Sie sich fortwährend, meinen Worten zu trauen, meine Liebe? Ich weiß sehr wohl, was ich will. Dreißigtausend Pfund gegen Ihre Hand. Manch einer würde das als sehr fairen Handel bezeichnen. «
Lily war perplex, dass er ernsthaft dachte, er könnte sie sich als Gattin erkaufen. Natürlich wollte sie ihren Freundinnen unbedingt helfen, aber ein solches Opfer zu bringen, eine Vernunftehe einzugehen, um deren Schulden zu begleichen? Nun, hoffentlich musste sie es nicht.
»Wir bedürfen Ihrer überbordenden Großherzigkeit nicht, My Lord«, antwortete sie. »Wenn wir Glück haben, bekommen wir das Geld binnen weniger Wochen. Sie kennen ja unsere Pläne für die Soiree. Unsere jungen Damen sollten uns bald schon helfen können, O'Rourke zu bezahlen. «
»Und falls er insistiert, jetzt bezahlt zu werden?«, fragte Claybourne. »Sie wollen schließlich nicht, dass Ihre Freundinnen im Gefängnis enden.«
Lily kniff die Lippen zusammen. »So weit lasse ich es nicht kommen. Marcus hat mir zwanzigtausend Pfund überschrieben. Falls nötig, bekommt er sie.«
Seine Überraschung war nicht zu verkennen. »Sie würden Ihr gesamtes Vermögen hingeben, um sie zu retten?«
»Es wäre entschieden besser als die Alternative.«
»Und woher gedenken Sie die fehlenden zehntausend Pfund zu nehmen?«
»Ich würde Marcus oder Lady Freemantle bitten, sie mir zu leihen. Sie sind beide so reich. Überdies hat Fanny ein Buch geschrieben, das im nächsten Monat veröffentlicht wird. Der Verleger erwartet eine große Nachfrage, immerhin geht es um einen Ratgeber für junge Damen auf der Suche nach einem Bräutigam. Die Einkünfte können ebenfalls helfen, O'Rourke zu bezahlen.«
»Aber ich könnte die gesamte Summe sofort zur Verfügung stellen. «
Seine Beharrlichkeit brachte Lily vorübergehend zum Lächeln. »Sie sind außerordentlich großzügig, My Lord, aber ich muss Ihr Angebot ablehnen. Vielleicht bin ich irgendwann hinreichend verzweifelt, es anzunehmen, noch jedoch nicht. «
Derart verzweifelt wäre sie niemals. Ihr Zusammenstoß mit O'Rourke hatte sie aufs Neue daran erinnert, warum sie keinem Ehemann die Kontrolle über ihr Schicksal überlassen wollte. Sie konnte und würde keinem Mann genügend vertrauen, als dass sie ihn heiraten und ihm eine solche Macht über sich verleihen wollte.
Lord Claybourne mochte kein Mann sein, der eine Frau schlug, was nicht notwendig bedeutete, dass er sie nicht anderweitig sehr verletzen konnte, wäre sie erst einmal gesetzlich an ihn gebunden. Sie wäre in einer Verbindung gefangen, in der sie als sein
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