Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sanfter Mond über Usambara

Sanfter Mond über Usambara

Titel: Sanfter Mond über Usambara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Bach
Vom Netzwerk:
ungebetener Eindringling. Zwar gehörte dieser Berg zu ihrem Besitz, sie hatte ihn gekauft– doch was bedeutete das schon? Die Verbindung der Waschamba zu diesem Ort war ungleich intensiver: Hier lebten die Geister ihrer Toten, hier sprachen sie mit den Seelen der Bäume und Felsen, hier streiften sie in Tiergestalt durch die Wälder und versammelten sich zu magischen Ritualen an den nächtlichen Feuern.
    Sie zögerte, ob sie weiterreiten sollte. Vielleicht war es besser, diesem Pfad nicht zu folgen, weil er vermutlich an einen ihrer Kultorte oder zu einer Begräbnisstätte führte, doch gleichzeitig war sie neugierig, wie ein solcher Ort wohl aussehen mochte. Sie würde nichts anrühren, kein Hälmchen krümmen, keinen Stein versetzen– nur einfach die Stätte betrachten und dann wieder fortreiten. Später konnte sie vielleicht Johannes Kigobo und Jonas Sabuni über die Bedeutung des Gesehenen ausfragen; womöglich hatte sie Glück, und die beiden zum Christentum bekehrten Schwarzen gaben ihr Auskunft.
    Vorsichtshalber wartete sie, bis die Prozession durchs Tal gezogen und auf der Kuppe des Hügels verschwunden war, erst dann ritt sie weiter. Die Eingeborenen hatten sie so wenig beachtet wie einen Stein am Wegrand, weniger sogar, denn ein Stein hatte, wie sie wusste, eine Seele. Dennoch war sie unsicher, ob es ihnen gefallen würde, wenn sie jetzt nach ihrem verborgenen Kultplatz suchte.
    Das Maultier stieg willig den Pfad hinauf. Charlotte blinzelte nach der Sonne, die sich gen Westen neigte, dann schlug das Blätterdach über ihr zusammen. Es war angenehm kühl im Wald, nach einer Weile fror sie sogar und war froh, wenn der Pfad aus den Bäumen tauchte und über einen sonnenbeschienenen Felsvorsprung führte. Je höher sie kam, desto großartiger war der Blick hinab in die Tiefe; bald entdeckte sie sogar einige Kaffeefelder ihrer Plantage, dann auch das Wohnhaus, klein wie ein Spielzeug.
    An manchen Stellen tropfte Wasser vom Gestein herab, jetzt waren es nur harmlose Rinnsale, doch in der Regenzeit würden sie zu reißenden Wasserfällen werden. Vogelrufe waren zu hören, dieses Mal stammten sie tatsächlich von Vögeln. Auch die unvermeidlichen Meerkatzen rumorten im Geäst, einmal sah sie dicht über ihrem Kopf eine Baumschlange, einer grünen Liane gleich, und sie duckte sich rasch, um das Tier nicht aufzuschrecken.
    Wenn dieser Kultplatz hier irgendwo im Wald verborgen war, dann vermutlich nicht direkt am Pfad, sondern abseits, in einer Mulde oder auf einem Felsplateau. Aber es mussten doch Spuren auszumachen sein, schließlich waren eine Menge Leute hier gegangen, die vielleicht auch einen Toten mit sich geführt hatten… Sie schaute nach ihrem Hund, doch Simba folgte ihr ohne großes Interesse für seine Umgebung.Ab und an hob er das Bein oder knurrte leise, dann befahl sie ihm, still zu sein, und er gehorchte.
    Bald war ihr klar, dass sie an den Rückweg denken musste, wenn sie nicht die Nacht im Freien verbringen wollte. Unschlüssig starrte sie auf den vor ihr liegenden Pfad, der nun offenbar wieder einer felsigen Stelle zustrebte, denn sie sah helle Lichtstrahlen durch das Blattwerk blitzen. Eigentlich müsste sie in Kürze den Gipfel erreicht haben, aber das war schwer auszumachen, da sich der Weg in scharfen Kehren mal bergauf, dann aber auch wieder bergab schlängelte.
    Wahrscheinlich wird es nun sowieso zu steil für das Maultier, dachte sie resigniert. Dennoch trieb sie es an, um zumindest den Felsen zu erreichen und von dort aus einen letzten Blick auf die Umgebung zu werfen. Die steinerne Wand, die sich jetzt zu ihrer Linken erhob, bestand aus mehreren, schräg übereinanderliegenden Schichten von Glimmerschiefer, welche nun, da die Sonne weit im Westen stand, nur noch schwach schimmerten. Staunend besah sie den grauen Stein und spürte ein leises Vibrieren im Körper. Was war nur los mit ihr? Plötzlich verspürte sie den dringlichen Wunsch, diese Felswand zu berühren, als könne sie damit etwas von der magischen Kraft des Felsens in sich aufnehmen. Sie lenkte das Maultier in das Geröll hinein, das sich dicht am Felsen angesammelt hatte, und blinzelte gegen das Licht, da sie meinte, den Umriss eines Stieres in der zerklüfteten Bergwand zu erkennen. Oder war es eine Antilope? Ein Gnu? Sie streckte die Hand aus und befühlte den noch sonnenwarmen, schrundigen Fels, glitt mit den Fingern über die Unebenheiten des Gesteins, versuchte, die eben gesehenen Linien nachzuzeichnen. Auf einmal

Weitere Kostenlose Bücher