Sanfter Mond über Usambara
sich wieder einen Bart stehen, auch wenn sie behauptet hatte, dieses blonde Gewächs kitzele sie ganz fürchterlich.
» Wieder mal so lange in Wind und Regen herumgelaufen « , schalt er sie. » Du schaust blass aus, indische Prinzessin. Setz dich und iss etwas, damit unser armes Baby nicht hungern muss… «
» Ich will nur noch rasch hinüber zu Elisabeth… «
» Nichts da! Du setzt dich jetzt hin. Ich kümmere mich um unsere bezaubernde, sture Tyrannin. «
» Sie ist keine Tyrannin, George! «
» Nur eine kleine « , beschwichtigte er sie grinsend. » Und seit heute vermutlich eine gestürzte. Aber damit wird sie fertig werden müssen– man kann nicht immer gewinnen im Leben. «
Charlotte verschwieg ihm, dass sie sich insgeheim große Vorwürfe machte. George sollte sich auf keinen Fall schuldig fühlen, weil sie ihm gefolgt war. Sie hatte Afrika um seinetwillen verlassen, und dazu stand sie, so schwer es ihr auch manchmal fiel.
Im Esszimmer rückte Stine noch umständlich Teller und Bestecke auf dem weißen Tischtuch zurecht und stellte bedächtig die Kristallvase mit den bunten Astern, die George gestern vom Markt mitgebracht hatte, auf die Anrichte. Sie gab sich große Mühe, alles, was man ihr auftrug, ordentlich zu erledigen, doch leider war sie dabei schrecklich langsam, was Charlotte nicht selten auf die Nerven ging. Dabei hatte sie bei ihren schwarzen Angestellten oft sehr viel mehr Geduld aufbringen müssen, aber die lohnten es ihr auch mit liebevoller Anhänglichkeit und heiterem Gemüt. Nein, sie war ungerecht und würde Stine auf keinen Fall zur Eile antreiben.
Stattdessen ging sie ins Arbeitszimmer hinüber, um nach der Post zu sehen. George hatte die Briefe bereits geordnet und die an ihn gerichteten Schreiben geöffnet, zwei Zeitschriften lagen noch mit Banderolen verschlossen auf der Seite, daneben zwei Umschläge, die an Charlotte Johanssen adressiert waren. Sie erkannte die Schrift sofort– einer trug Klaras schön geschwungene Handschrift und war in Daressalam aufgegeben, der andere stammte von Jacob Götz, einem der beiden Verwalter ihrer Pflanzung am Kilimandscharo. Mit seinem besten Freund Willi Guckes hatte der aus der Gegend um Kassel stammende Deutsche zunächst auf einer Kaffeeplantage in Usambara gearbeitet, dann waren die beiden Männer gemeinsam zu den von Rodens gekommen. Charlotte war froh, derart treue und fleißige Verwalter für ihren Besitz gefunden zu haben.
Sie griff zuerst nach Klaras Brief– der andere konnte warten, es würde sich vermutlich um die Abrechnung des diesjährigen Ernteertrages handeln, womöglich auch um neue Bauvorhaben oder andere Pläne, die die beiden eifrigen Verwalter beständig schmiedeten.
Stine hatte den silbernen Brieföffner auf Georges Schreibtisch blitzblank geputzt– das musste sie heimlich getan haben, denn Georges Schreibtisch durfte außer Charlotte niemand berühren. Zeichnungen fielen aus dem Umschlag, der Palmenhain am Immanuelskap, das Missionsgebäude mit den neuen Anbauten, eingeborene Kinder beim Schulunterricht. Der Blick aus dem Fenster des engen Raums in der evangelischen Mission, in dem Klara nun schon seit Monaten mit ihrem Mann und dem kleinen Samuel lebte. Auch ihren Sohn, der inzwischen schon fünfzehn Monate zählte, hatte Klara gezeichnet, ein zierliches Kind mit großen, ein wenig umschatteten Augen, die ernst und seltsam wissend blickten. Ihren Ehemann, den Missionar Peter Siegel, hatte Klara dieses Mal nicht mit dem Zeichenstift dargestellt.
Mit einem kleinen Seufzer zog sich Charlotte den gepolsterten Schreibtischstuhl herbei, lauschte noch einen Moment besorgt auf Georges Stimme, die aus dem Kinderzimmer herüberdrang, und begann dann, Klaras Brief zu lesen. Wie immer klang der Bericht ihrer Cousine bei oberflächlicher Lektüre ausgeglichen, fast fröhlich, doch Charlotte kannte Klara zu gut. Es waren die kleinen Nebensätze, die die Wahrheit offenbarten. Samuel würde jetzt tüchtig essen und sei kerngesund– hatte der Kleine vorher die Nahrung verweigert? War er krank gewesen? Klara hatte in früheren Briefen nichts davon erwähnt. Peter Siegel sei wohlauf und bemühe sich nach Kräften, die Angestellten der Mission bei ihren täglichen Verrichtungen zu unterstützen. Klaras Ehemann hatte nach dem Überfall auf seine Mission in Naliene lange krank darniedergelegen; er schien verwirrt, wochenlang war er nicht einmal ansprechbar gewesen. Charlotte machte sich Sorgen, ob Peter Siegel überhaupt je wieder
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