Sanfter Mond über Usambara
überstanden. Seine ersten Erdentage verbrachte der kleine Samuel im Busch, wo die Aufrührer den bei dem Angriff verwundeten Missionar Siegel mitsamt seiner Familie sowie einem schwarzen Diener ausgesetzt hatten. Nur mit viel Glück wurden sie rechtzeitig von den den Deutschen unterstehenden Askari-Truppen gerettet und nach Kilwa gebracht.
» Ich hoffe sehr, dass Tante Klara uns nicht besuchen kommt « , meinte Elisabeth mitleidslos, wie nur ein Kind es sein konnte. » Sonst müsste ich am Ende mit Samuel spazieren gehen, das wäre ziemlich unangenehm. «
Nach dem Mittagessen stürzte sie sich voller Neugier auf Tante Klaras Zeichnungen, nörgelte und bewunderte, fragte, wann Mama die Antwort nach Afrika schreiben wolle, und lief dann ins Kinderzimmer, um den lange vernachlässigten Zeichenblock hervorzukramen. Tante Klara lobte ihre Bilder in jedem Brief, deshalb wollte sie sofort ans Werk gehen.
George bestand energisch darauf, dass Charlotte sich für eine Stunde auf dem Sofa im Wohnzimmer ausstreckte, er selbst wollte noch ein Weilchen an seinem Buch arbeiten und ihr die Blätter am Abend zur Korrektur vorlegen.
» Ein Nachmittagsspaziergang fällt sowieso aus– schau dir dieses Regenwetter an « , meinte er, während er sie mit einer weichen Wolldecke zudeckte. » Zum Glück haben wir diesen Anker im Vorgarten liegen, so können die Regenfluten wenigstens nicht das Haus davonspülen. «
Richtig, draußen im Garten lag dieses eiserne Monstrum, das zehn Männer kaum anheben konnten. Es hatte einst zu einem stolzen Dreimaster gehört, der beim Aufkommen der Dampfschifffahrt für unrentabel befunden und von der Reederei aufgegeben worden war. Vermutlich hatte der Kapitän, in dessen Haus sie wohnten, den Segler vor Jahren befehligt und den Anker aus nostalgischen Gefühlen heraus erworben.
» Gib mir doch bitte die Zeitungen und den Brief von Jacob herüber « , bat Charlotte, die sich bei der ihr zwangsverordneten Mittagsruhe stets langweilte.
» Du sollst nicht lesen, du sollst dich ein wenig erholen « , widersprach ihr Mann und verließ mit scherzhaft gerunzelter Stirn das Zimmer.
Charlottes Herz klopfte immer noch rascher als gewohnt; eigentlich war sie müde, doch aus irgendeinem Grund wollte sie nicht zur Ruhe kommen. Nun ja, jede Schwangerschaft verläuft anders, dachte sie und schloss die Augen, um sich zu entspannen. Den Brief ihres Plantagenverwalters konnte sie auch später noch lesen.
Sie hörte, wie George leise in sein Arbeitszimmer ging. Unten in der Küche klapperte ein Blecheimer, und die Hintertür zum Garten wurde geöffnet, wahrscheinlich musste Stine trotz des Regenwetters die Gemüseabfälle auf den Kompost tragen. In Elisabeths Zimmer war alles still.
» Was hältst du davon, wenn ich einige von Klaras Zeichnungen in mein Buch aufnehme? « , fragte George, als er wieder zurückkehrte und ihr endlich die Zeitungen und den Brief reichte. » Ich würde sie natürlich dafür bezahlen, das versteht sich. «
Charlotte lächelte. George hatte ihr wiederholt angeboten, Klara und Peter finanziell unter die Arme zu greifen, doch sie wusste, dass Klara das nicht recht gewesen wäre.
» Sie würde wahnsinnig stolz sein, Liebster. Aber sie wird keinen Pfennig dafür haben wollen, du kennst sie doch. «
» Es ist üblich, dass Zeichner bezahlt werden. «
» Gewiss. Aber Klara hat leider kein bisschen Geschäftssinn, sie hat ihre Bilder bisher immer verschenkt. Ich mache mir Sorgen um die drei. Peter scheint immer noch unter dem Schock des Überfalls zu stehen. «
» Du brauchst dir keine Gedanken zu machen, Charlotte. Die Berliner Missionsgesellschaft wird schon für sie sorgen… «
Er zupfte die Decke zurecht und küsste sie auf die Wange, bevor er an seinen Schreibtisch zurückkehrte. Die Tür zum Wohnzimmer ließ er offen, um hin und wieder zu ihr hinüberzuschauen und ein flüchtiges Lächeln mit ihr auszutauschen.
Es war schön, mit ihm zu leben. Die glücklichsten Stunden verbrachten sie immer am Abend miteinander, wenn sie gemeinsam an seinen Texten schliffen. Dann tauchte sie ein in die faszinierende Welt seiner Gedanken, nahm an seinen Kämpfen und Hoffnungen teil, ließ sich von seinen Schilderungen verführen und ahnte doch zugleich, dass er ein Träumer war, der sein Lebtag für ein Paradies streiten würde, das nicht in diese Welt passte. Aber was wäre die Welt ohne Träumer?
Sie löste die Banderole von der Ostafrikanischen Zeitung, die ein gewisser Willi de Roy seit
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