Sanfter Mond über Usambara
als Missionar eingesetzt werden konnte, auch George bezweifelte dies. Eine Heimkehr nach Deutschland schien für ihn jedoch nicht in Frage zu kommen, das hatte Klara mehrfach betont. Nun schien er also einfache Arbeiten in der Mission zu erledigen, das war immerhin ein Fortschritt. Eine Perspektive für die kleine Familie konnte es auf Dauer jedoch nicht sein.
Nachdenklich betrachtete sie die Zeichnungen und fragte sich, weshalb Klara immer wieder solche Bilder schickte. Wusste sie nicht, wie schwer es Charlotte ums Herz wurde, wenn sie die schlanken Palmen, die dunklen Gesichter der Eingeborenen und den weiten Ozean erblickte? Klara war eine gute Zeichnerin, mit nur wenigen Strichen fing sie das Wesentliche einer Landschaft ein, und es schien Charlotte beim Betrachten, als könne sie das gleichmäßige Schlagen der Wellen vernehmen und die Wärme der afrikanischen Sonne spüren.
» Mama? Wir wollen jetzt essen. Die Suppe steht schon auf dem Tisch. «
George hatte ein Wunder vollbracht! Elisabeths Gesicht war zwar noch ziemlich rot und die Augen verquollen, doch in ihrer kindlichen Stimme lag Festigkeit.
» Ich komme, mein Schatz! «
» Och, bloß wieder Graupensuppe mit Rübchen drin! « , beschwerte sie sich gleich darauf, als Charlotte den Deckel von der Suppenterrine hob.
George saß mit bemüht ernster Miene am Tisch und entfaltete seine Serviette, doch Charlotte konnte ihm ansehen, dass er mit sich zufrieden war. Während Elisabeth mit gerunzelter Stirn ihre Suppe löffelte– wenigstens eine halbe Schöpfkelle war Pflicht, auch wenn ihr das Gericht nicht schmeckte–, schob Charlotte heimlich ihre Hand unter dem herabhängenden Tischtuch zu George hinüber und streichelte sein Knie. Das Gespräch drehte sich eine Weile um Belanglosigkeiten, George war die Tinte ausgegangen, im Garten musste Laub gefegt werden, und die Köchin hatte um einen freien Tag gebeten, da ihre Schwester in Bremen Hochzeit feiere.
» Ich geh morgen doch in die Schule « , platzte Elisabeth ohne Vorankündigung dazwischen.
George schwieg, als sei dies nicht weiter von Belang, und nahm sich zwei Scheiben Braten von der Platte. Charlotte konnte sich jedoch nicht mehr zurückhalten.
» Und weshalb wolltest du zu Hause bleiben? «
» Weil jetzt alle zu Ida halten und keiner mehr zu mir. «
» Findest du nicht, ihr solltet euch lieber vertragen? «
Elisabeth gab keine Antwort und kaute stattdessen eifrig. Ihre schmalen Augen und die gesenkten Brauen besagten allerdings deutlich, dass sie keineswegs friedliche Gedanken hegte. Zumindest noch nicht.
» Vielleicht « , nuschelte sie und schluckte den Brocken hinunter. » Wenn es gar nicht anders geht– dann schon. «
Charlotte war zwar ein wenig erleichtert, ihre Sorge aber blieb. Elisabeth wollte sich morgen der siegreichen Kontrahentin stellen, was unfassbar mutig von ihr war. Obwohl sie verloren hatte, lief sie nicht davon, sondern behauptete ihren Platz. Charlotte musste an Max denken, Elisabeths Vater, der sich mit seiner Familie bis aufs Blut zerstritten hatte und deshalb nach Deutsch-Ostafrika ausgewandert war. Max hatte sein Leben lang jeder Gefahr mutig ins Auge geblickt, doch eine Versöhnung mit seinen Eltern und seinem Bruder war ihm nicht gelungen. Vielleicht gehörte dazu eine andere Sorte Mut als jene, die den Tod verachtete: der Mut, sich selbst gegenüberzutreten.
» Klara hat geschrieben und eine Menge hübscher Zeichnungen beigelegt… « , berichtete sie, um sich von ihren Grübeleien abzulenken.
» Ist Sammi immer noch so hässlich? « , fragte Elisabeth sogleich aufgeregt. » Hat er immer noch keine Haare auf dem Kopf? Er ist bestimmt das unansehnlichste Kind auf dem ganzen Erdball… «
» So etwas solltest du nicht sagen, Elisabeth « , tadelte Charlotte, während George ungeniert grinste.
» Wieso denn nicht? Sie können es doch nicht hören. Tante Ettje hat neulich auch gesagt, Sammi sei ziemlich mager… «
» Im Vergleich zu Ettjes Söhnen ist er wirklich sehr zart « , pflichtete George seiner Ziehtochter bei. » Und doch hat er bereits einen gewaltigen Kampf bestanden, einen Kampf um Leben und Tod. «
Klaras Sohn war kurz vor einem von aufständischen Schwarzen auf die Mission verübten Überfall zur Welt gekommen, und es war Georges ärztlichem Geschick zu verdanken gewesen, dass der Säugling die Geburt überlebte. Er hatte verkehrt herum in seiner Mutter gelegen, die Nabelschnur um den Hals gewickelt, und auch Klara hätte dies fast nicht
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