Sanfter Mond über Usambara
setzen. Nein, kein Streit. Sie liebten einander.
» Nun, wenn du nichts schreibst, bin ich arbeitslos, weil ich nichts zu korrigieren habe « , lenkte sie ein.
» Jetzt lass erst mal die Feiertage vorübergehen, dann wird sich schon wieder etwas finden… « , beschwichtigte er sie erleichtert und vertiefte sich in einen Artikel. Charlotte konnte die Augen nicht von ihm wenden. Wie fremd er ihr jetzt erschien, in der gefütterten Hausjacke und mit der albernen Brille auf der Nase. War das derselbe Mann, dessen Briefe aus fernen Ländern sie damals zu sehnsüchtigen Träumen veranlasst hatten? George, der Weltverbesserer, der sich auf der Suche nach dem Schönen immer wieder an den Rand des Todes gewagt hatte, der zornige Kämpfer gegen alles, was ihm ungerecht erschien? Der Mann, der sie noch vor einem Jahr sicher und umsichtig durch die Savanne geführt hatte, vorbei an tödlichen Gefahren, der Mann, der ihr Mut zugesprochen hatte, wenn sie verzweifeln wollte? Der sie so leidenschaftlich unter dem sternenübersäten afrikanischen Himmel geliebt hatte?
Gewiss, er war derselbe, doch er trug eine Maske, die ihm wenig stand. Aber war denn sie selbst noch die Frau, die sie damals gewesen war? Stand sie nicht in fremden Schuhen am falschen Platz? Hatte sie nicht versucht, die treu sorgende Ehefrau und Mutter zu spielen und ihm ein behagliches Nest zu bereiten?
» Ja, lass uns die Feiertage abwarten « , pflichtete sie ihm müde bei und setzte sich ans Klavier, um Schubert zu spielen. Franz Schubert, der Komponist, der Trauer in Schönheit verwandeln konnte.
Zu Weihnachten war das Wetter mild, der Nordwestwind trieb feine Regentröpfchen heran, die die Kleidung durchdrangen und einen frösteln machten. Der Besuch in Leer war kurz, man tauschte Geschenke aus, trank miteinander Tee, und Charlotte hielt den kleinen Neffen im Arm, ein zartes, anfälliges Kind, das den Eltern Sorgen bereitete. George untersuchte den Säugling und verordnete zu Antjes Entsetzen einen täglichen Spaziergang, dick eingepackt, ganz gleich bei welchem Wetter. In der stickigen, feuchtwarmen Stube würde sich sein Leiden nur verschlimmern.
Elisabeth hatte schon ihr Gepäck in die Schlafkammer getragen, die sie sich nun für einige Tage mit der kleinen Fanny teilen würde.
» Fanny ist furchtbar anstrengend « , vertraute Elisabeth ihnen beim Abschied an. » Immer läuft sie hinter mir her, und wenn ich mit den Jungen weggehe, dann heult sie. Ich bin sehr froh, dass ich keine kleinen Geschwister habe! «
George und Charlotte fuhren mit der Bahn zurück nach Emden. Schweigend saßen sie einander gegenüber in den weichen Polstersitzen der ersten Klasse, ohne recht zu wissen, wohin sie schauen sollten. Die Landschaft draußen lag in der Dunkelheit, nur hie und da sahen sie die beleuchteten Fenster eines Hauses vorübergleiten, an den Bahnhöfen brannten elektrische Lampen, die grauen Striche des Regens im Lichtkreis der Scheinwerfer waren deutlich zu erkennen.
Regenzeit, dachte Charlotte und zog frierend den Mantel um sich. Still und kühl. Kein Donnerschlag, keine schwarzen Wolken, die über dem Land aufplatzten und die Wassermassen herabstürzen ließen. Keine dampfende Erde, aus der die Gerüche warmer Fruchtbarkeit aufstiegen… Nur kühler Nieselregen auf kaltes, matschiges Erdreich.
Sie sah, dass George die Augen geschlossen hatte. Er schlief jedoch nicht, sie erkannte es daran, dass seine Lider hin und wieder zuckten. Welche Bilder er wohl vor sich sah? Sie hätte viel darum gegeben, es zu wissen.
Die Tage ohne Elisabeth verbrachten sie in einer seltsam gezwungenen Zweisamkeit. George war redselig und bemühte sich um immer neue Gesprächsthemen, forderte sie auf, vierhändig mit ihm Klavier zu spielen, ging mit ihr durch die weihnachtlich geschmückte Stadt und forschte sie nach ihren Kindheitserinnerungen aus. An den Abenden behauptete er, noch nie in seinem Leben ein so gemütliches Heim gehabt zu haben, lobte ihren Geschmack, redete über neue Buchprojekte, bei denen er ihre Hilfe benötigen würde. Charlotte ging auf alles ein, spürte seine Rastlosigkeit und wusste, dass er sich selbst etwas vormachte. Ernst gemeint war nur sein verzweifeltes Bemühen, sie nicht zu verlieren. Er hatte sie seit ihrer Fehlgeburt nicht mehr angerührt– jetzt schlief er wieder mit ihr. Am ersten Abend tat er es behutsam, als fürchte er, ihr wehzutun, in den folgenden Nächten nahm er sie leidenschaftlich mehrmals hintereinander, und bevor ihn der
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