Sanfter Mond über Usambara
die von der Seekrankheit verschont blieben, außer ihr hatten nur noch zwei betagte Engländerinnen dieses Glück: Miss Jane Marwin und ihre jüngere Schwester Rose, die ihren Bruder in Südafrika besuchen wollten. Trotz der starken Schiffsbewegungen ließen es sich die beiden Damen nicht nehmen, durch die Flure zu laufen, um ihre Fläschchen mit Pfefferminzlikör anzubieten– ein vortreffliches Mittel gegen die Seekrankheit, mit dem sie sich vor ihrer Abreise reichlich eingedeckt hatten. Auch der Schiffsarzt und zwei Krankenschwestern waren unermüdlich in der ersten und zweiten Klasse im Einsatz, wo insgesamt über hundertachtzig Passagiere zu versorgen waren, doch weder Validol noch Kampfer konnten die Leiden lindern. Um die Passagiere in der dritten Klasse, etwa achtzig an der Zahl, kümmerte sich kaum jemand, und um die im Zwischendeck, noch einmal fast hundert Menschen, die eng zusammengedrängt in ihren hölzernen Stockbetten hockten, schon gar nicht, man überließ sie einfach ihrem Schicksal. Charlotte kannte die Zustände dort unten, sie selbst war vor zehn Jahren zusammen mit Klara und Christian im Zwischendeck gereist, und obgleich sie mit den Unglücklichen dort unten mitfühlte, war sie doch froh, jetzt diese helle, hübsch eingerichtete Kabine der ersten Klasse zu bewohnen. Vor allem deshalb, weil ihre Tochter, die auf der Hinreise so großartige » Seebeine « bewiesen hatte, dieses Mal sterbenskrank war.
» Mama, ich will nach Hause! « , jammerte das Mädchen.
» Der Sturm ist bald vorbei, mein Schatz « , tröstete Charlotte. » Dann wird es dir besser gehen… «
Elisabeth war so bleich, dass Charlotte fürchtete, sie könne das Bewusstsein verlieren. Immer wieder begann sie zu würgen, obgleich ihr Magen längst völlig entleert war. Charlotte hielt ihre Tochter in den Armen, versuchte, die heftigen Schiffsschwankungen mit ihrem eigenen Körper auszugleichen, wischte ihr die Stirn mit einem feuchten Tuch und hielt ihr eine Schale vor den Mund, wenn sie sich übergeben musste. Sie hörten, wie die Brecher immer wieder donnernd und tosend über das Vorderschiff schlugen, wenn ein Stahltau riss, klang es wie ein Peitschenknall. Der Dampfer schlingerte, die Maschine arbeitete mit aller Kraft, und der stählerne Rumpf schien zu stöhnen wie ein Mensch in tiefer Bedrängnis.
George lag in der Kabine nebenan, auch er war der Seekrankheit zum Opfer gefallen, doch er weigerte sich stur, ihre Hilfe in Anspruch zu nehmen.
» Kümmere dich um Elisabeth « , knurrte er Charlotte an. » Ich brauche keine Krankenschwester. Und komm ja nicht auf die Idee, mit einem Fläschchen Pfefferminzlikör bei mir aufzutauchen. «
Er, der stets für alle Kranken sorgte, konnte es nicht ausstehen, selbst gepflegt zu werden, wenn es ihm schlecht ging. George machte die Krankheit lieber mit sich allein aus, wollte sich keinem Arzt anvertrauen und konnte auch die hilflosen Blicke seiner Frau nur schwer ertragen.
Charlotte fügte sich. Während sie das jammernde Kind auf dem Schoß hielt, starrte sie zu dem kleinen Fenster hinüber, das nur wenig größer als ein Bullauge war. George hatte Kabinen im obersten Teil des Schiffsaufbaus gemietet, damit sie einen guten Ausblick auf Meer und Land hatten. Jetzt sah man dort nur graue, kochende Wassermassen mit schäumender Gischt, die den Dampfer von allen Seiten umtosten, manchmal wehte ein Zipfel der abgerissenen Balkonbespannung vorüber.
» Mama, ich will nach Hause… «
» Sieh auf meine Schulter, Elisabeth, du musst auf einen festen Punkt schauen, dann hört das Schwanken auf… «
» Ich wünschte, wir wären in Emden geblieben! «
» Es dauert nicht mehr lange, dann sind wir in Afrika. Erinnerst du dich nicht mehr, wie schön es dort war? «
» Nein! «
Die letzten beiden Monate in Emden hatte Charlotte in einer Art Rausch verbracht, so glücklich war sie gewesen, als endlich feststand, dass sie Deutschland wieder verlassen würden. Sie hatte sich gefühlt wie ein Mensch, der in einer dämmrigen Stube das Fenster öffnet und in eine lichtdurchflutete, blühende Maienlandschaft schaut. Die Antwort des Herzogs von Mecklenburg war bald eingetroffen, er nahm Dr. Johanssen nur allzu gern als Begleiter in die Expedition auf und schickte eine Liste der übrigen Wissenschaftler und ihrer Ausrüstung. George solle rasch telegraphieren, ob irgendein Instrument oder ein für ihn wesentlicher Ausrüstungsgegenstand fehle, damit man diesbezüglich Abhilfe schaffen könne. Im
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