Sanfter Mond über Usambara
Todesfall bekümmert war, glänzten ihre Augen hoffnungsvoll. Peter Siegel wurde von den Missionaren Wohlrab und Becker zwar mit brüderlicher Fürsorge, aber keineswegs gleichberechtigt behandelt. Weshalb das so war, hatte Charlotte noch nicht herausgefunden, erschien ihr Klaras Mann doch körperlich gesund und voller Tatendrang, trotzdem durfte er weder Wohlrab noch Becker begleiten, wenn sie auszogen, um in den Dörfern zu predigen. Missionar Peter Siegel war es gestattet, hin und wieder die Bibelstunde oder die Sonntagsandacht zu halten, ansonsten war er dafür zuständig, die deutschen Kinder zu unterrichten, was er allerdings nur ungern tat. Nun also hatte man ihm gestattet, den armen Karl Manger zur letzten Ruhe zu geleiten.
» Er wird noch heute zur Plantage Neu-Kronau aufbrechen. Ich wünschte, ich könnte ihn begleiten. «
Sammi streckte verlangend die Arme nach den Tasten des Harmoniums aus, und Charlotte betätigte eifrig die Tretschemel, um das Instrument mit Luft zu füllen. Der Kleine schaukelte freudig jauchzend auf ihren Knien, hieb auf die Tasten ein und jubelte auf, wenn es ihm gelang, dem großen Kasten ein paar Töne zu entlocken.
» Ich glaube, er ist musikalisch « , scherzte Charlotte, als der Krach kaum noch auszuhalten war.
» Nimm ihn um Gottes willen herunter, Charlotte. Wenn Missionar Wohlrab das hört! Dies ist immerhin eine Kirche! «
» Ach was! Das ist auch eine Art, Gott den Herrn zu loben. «
» Bitte, Charlotte! Ich möchte auf keinen Fall Anlass zu Verstimmungen geben. Peter hat es schon schwer genug… «
Klara beugte sich vor und hob Sammi von Charlottes Knien. Der Kleine jammerte kläglich, fügte sich aber erstaunlich schnell in sein Schicksal und starrte Charlotte mit großen, bekümmerten Augen an. Warum um alles in der Welt gönnte Klara ihrem Kleinen diese Freude nicht?
» Weshalb sollte Peter Schwierigkeiten bekommen, weil ich deinen Sohn auf dem Harmonium spielen lasse? «
» Bitte sei nicht zornig, Charlotte. Ich sorge mich um Peter und möchte nichts tun, was ihm schaden könnte. Das ist die Pflicht einer jeden guten Ehefrau… «
» Lieber schadest du deinem Sohn! « , entfuhr es Charlotte.
Charlotte bereute ihre Worte, noch bevor sie sie ganz ausgesprochen hatte, aber nun standen sie im Raum, und sie sah, dass Klaras Augen sich mit Tränen füllten. Wie sehr sie ihrer Mutter ähnelte! Das war Tante Fannys verhärmter Ausdruck und auch ihr vorwurfsvoller Blick.
» Ich habe es nicht so gemeint. Entschuldige bitte. Es war nur… er hatte so viel Spaß… «
Klaras Miene war immer noch verbittert, doch ihr Kummer galt nicht ihr selbst, sondern ihrer Cousine, die heute wieder so fürchterlich reizbar war.
» Du musst dich nicht entschuldigen, Charlotte. Ich weiß doch, wie schwer es für dich ist. Ach, du hättest George zum Viktoria-See begleiten sollen. Eine Ehefrau sollte immer an der Seite ihres Mannes sein. «
Was für ein großartiger Satz, vor einigen Wochen hatte sie selbst noch daran geglaubt. Gleich würde Klara ihr noch das wunderbare Beispiel von Frau Wohlrabs Schwägerin vorhalten, die ihre zehn Kinder fortgegeben hatte, um ihrem Mann in die Wildnis zu folgen.
» Danke, dass du mir die Post gebracht hast « , sagte sie kühler als beabsichtigt. » Ich möchte noch ein wenig für Sonntag üben. «
» Oh, du wirst wieder wundervoll spielen, Charlotte. Johannes Kigobo sagte mir neulich, er habe Jesus und alle seine Apostel singen hören, als du das Eingangsstück spieltest… «
Johannes Kigobo war einer der Diakone, ein kleinwüchsiger Bursche mit einer besonders breiten Nase und tiefliegenden Augen. Wie alle bekehrten Schwarzen hatte er bei seiner Taufe einen christlichen Namen erhalten, den er seinem Waschamba-Namen voranstellte. Er war ehrgeizig, unterrichtete die schwarzen Kinder und ging häufig mit Pfarrer Becker auf Missionsreisen, um seine Stammesbrüder zu Jesus zu bekehren. Charlotte mochte ihn nicht besonders, aber sie musste anerkennen, dass er musikalisch war, denn er klimperte gar nicht übel auf einem selbst gebauten Saiteninstrument, einer Art Laute, die aus einer leeren Kalebasse und drei gedrehten Schweinedärmen hergestellt war.
Sie spielte noch einige Takte, doch die musikalischen Ideen, die sie vorhin so begeistert hatten, wollten sich nicht mehr einstellen. Im Grunde wartete sie nur, bis Klara mit dem kleinen Sammi endlich die Kirche verlassen hatte und die Tür hinter ihnen zuschlug. Danach ließ sie die Hände sinken
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