Sanfter Mond über Usambara
für eine so verantwortungsvolle Aufgabe tauge ich nicht. Vielleicht nehmen Sie besser einen der Diakone mit oder auch Missionar Siegel… «
Ihre Zurückhaltung konnte das joviale Lächeln auf seinem Gesicht nicht vertreiben. Er tadelte sie für ihre Selbstzweifel und erklärte, dass sie dem Anliegen der Mission auf diese Weise unendlich viel Nutzen bringen könne. Es lasse sich nun mal nicht leugnen, dass eine Frau viel leichter mit den Waschamba-Frauen in Kontakt komme als ein Missionar. Darum werde er weiter in sie dringen, sie könne ihm ebenso wenig entfliehen wie Jonas, der im Bauche des Walfisches vor Gottes Willen Versteck nehmen wollte.
» Nun, liebe Schwester Charlotte, ich weiß, dass Sie Post von Ihrem Ehemann empfangen haben. Gehen Sie nur, ich verstehe, wie sehr Ihnen dieses Schreiben in den Händen brennt. «
Sie beeilte sich, vor seinem gönnerhaften Lächeln in das kleine Zimmer zu fliehen, das sie seit Georges Abreise bewohnte. Es gab darin nicht viel mehr als ein Bett und einen Stuhl, dazu ihre Reisekoffer und eine große Kiste, die sie als Tisch benutzte. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, musste sie sich wieder gegen den aufkommenden Ärger wehren.
…ich verstehe, wie sehr Ihnen dieses Schreiben in den Händen brennt …
Natürlich war die Post zuerst zu den Missionaren gebracht worden, die sie dann verteilten. Also wusste inzwischen jeder in der Mission, dass George ihr geschrieben hatte, man würde sie darauf ansprechen, sich nach dem werten Befinden ihres Ehemanns erkundigen und dann mit besorgtem Lächeln anmerken, dass sie die lange Zeit der Trennung am besten mit Tätigkeiten überbrücke. » Wir sind hier eine große Familie « , hatte Frau Wohlrab ihr versichert, und das war die Wahrheit. Nichts, aber auch gar nichts blieb den anderen verborgen, die Herren Missionare mischten sich in alles ein.
Aufseufzend setzte sich Charlotte auf ihr Bett und versuchte, ihre trübe Stimmung niederzukämpfen. Weshalb war sie nur so gereizt? Alle waren um sie besorgt– daran gab es nichts auszusetzen. Sie musste sich wirklich zusammennehmen, um anderen Menschen nicht unrecht zu tun.
Entschlossen öffnete sie den Umschlag und zog die zusammengefalteten Blätter heraus. Wie schon vermutet, hatte er ihr einen langen Brief geschrieben und viele eng gefüllte Seiten mit ersten Reisenotizen beigefügt. Er hatte sogar Bleistiftzeichnungen angefertigt, kleine, akribisch genaue Abbildungen, die er– so hatte sie inzwischen festgestellt– blitzschnell und scheinbar ohne sich darauf zu konzentrieren während eines Gesprächs aufs Papier werfen konnte.
Die Blätter zitterten in ihren Händen– wusste er nicht, wie weh er ihr damit tat? Jahrelang hatte sie solche Manuskripte von ihm erhalten, sie voller Sehnsucht und Begeisterung gelesen, sich daran berauscht und doch zugleich gewusst, dass der Verfasser dieser Schilderungen für sie unerreichbar war. Nun gehörten sie einander, und doch saß sie wieder fern von ihm in einem engen Zimmer und hatte nichts als seine Briefe.
Bukoba, den 16.Juni 1907– ein Tag vor dem Aufbruch der Karawane
Meine süße, dickköpfige Ehefrau,
heute ist nun der Tag gekommen, an dem wir voneinander hätten Abschied nehmen müssen, wäre alles nach meinem Willen gegangen. Du hast anders entschieden – vielleicht hattest Du recht damit, es wäre nicht leicht gewesen, einander in all diesem Trubel auf die rechte Weise Lebewohl zu sagen. Muss ich Dir schreiben, wie sehr ich Dich vermisse? Dass mich der Gedanke, Dich in einigen Monaten wieder in meine Arme zu schließen, auf allen Wegen wie eine leuchtende Fackel begleitet? Ich habe nicht wenige Fehler in meinem Leben begangen und vielen Menschen, die mir teuer waren, Kummer bereitet. Nun also auch Dir, meine Liebste. Und doch vertraue ich darauf, dass die Liebe in unseren Herzen tief genug verwurzelt ist, um alle Widrigkeiten zu überstehen. Bin ich ein Narr, wenn ich mich dieser Hoffnung hingebe …
Die Tür flog auf, und Elisabeth stürzte herein, braun gebrannt, das Haar verwuschelt, Begeisterung strahlte aus ihren Augen.
» Mama, Mama! Wir haben heute die Apostelgeschichte durchgenommen. Das war richtig aufregend. Und Bilder durften wir malen. Ach ja, Tante Klara hat gesagt, du sollst mal rasch zu ihr kommen. Und Missionar Wohlrab hat mich gelobt, weil ich so gut aufgepasst habe. Nur zweimal hat er schimpfen müssen, das war, als mich Ernestine an den Haaren gezogen hat und ich ihr dafür… «
Sie hielt
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