Sanfter Mond über Usambara
möglich zu brüllen. Einmal hatte sie versehentlich die Kirchentür offen gelassen, und prompt hatten sich Hühner und Ziegen zwischen die Bänke verirrt. Es hatte sie einige Mühe gekostet, die Eindringlinge wieder aus dem Kirchenraum zu vertreiben.
Die Regenzeit war längst vorbei, inzwischen brannte die Sonne heiß vom Himmel herunter, auf den Wiesen um die Mission zirpten die Grillen. Unten am Pangani-Fluss würde die Savanne nun bald grau werden, hier oben jedoch blieb die Landschaft üppig und grün, auf den Feldern der Missionsstation gediehen Mais, Bananen und Ananas, man hatte sogar Salat und Radieschen gesät. Im September würden die Bohnen geerntet, danach brach bald die zweite Regenzeit an, die bis Ende Dezember dauerte. Nach Weihnachten würde es wieder heiß werden, erst im März begannen die nächsten Regenfälle. März, April, Mai… ein Jahr hatte zwölf lange Monate, jeder Monat teilte sich in unendlich viele Tage, die nicht vergehen wollten. Die Tage wiederum bestanden aus zähen Stunden, doch noch hartnäckiger als diese Stunden am Tag waren die Stunden in der Nacht…
George war fort, auf Abenteuer ausgezogen, und sie musste mit ihrer Sehnsucht zurechtkommen. Weshalb ließ sie sich derart davon vereinnahmen? Wenn George so gut ohne sie leben konnte, dann würde sie es auch schaffen.
Sie begann wieder die Tretschemel zu bearbeiten, als ihr plötzlich eine Melodie in den Sinn kam.Vielleicht war dieses widerspenstige Instrument ja doch zu etwas nütze. Die Melodie klang zwar ungewöhnlich und hatte wenig mit den rührseligen deutschen Stücken zu tun, die die Missionare und die Waschamba so liebten, aber sie zu spielen machte ihr Spaß.
Charlotte war so in ihre Musik versunken, dass sie nicht einmal den Lichtschein bemerkte, der für einen kurzen Moment in die dämmrige Kirche fiel. Jemand hatte die Tür geöffnet.
» Es klingt sehr schön, Charlotte. Was ist das? «
Klaras Gesicht war verschwitzt und ein wenig gerötet, es stand ihr gut und ließ sie jünger aussehen. Sie führte ihren Sohn an der Hand, der jetzt unbedingt laufen wollte.
» Ich weiß selbst nicht so genau « , erwiderte Charlotte lächelnd. » Es kam mir so in den Sinn. «
In Wirklichkeit war ihr inzwischen klar geworden, dass sie sich von den Gesängen und Rhythmen der Waschamba hatte inspirieren lassen. Nicht von den frommen Christenliedern, die die bekehrten Eingeborenen sangen, sondern von den Klängen, die sie bei ihren Ausflügen mit George in die weiter entfernten Dörfer gehört hatte. In den zwei Wochen, die er hier auf Hohenfriedeberg verbracht hatte, waren sie oft zu zweit unterwegs gewesen.
Sammi stolperte einige Schritte auf Charlotte zu, und sie streckte ihm die Arme entgegen. Er lief sehr langsam und vorsichtig, auch ein wenig steif, doch er schaffte es bis zu ihr hin und fasste ängstlich ihre Hände.
» Es sind Leute von der Pflanzung Neu-Kronau gekommen. Sie haben die Post für die Mission mitgebracht. «
Klara reichte Charlotte einen Brief, und sie erkannte Georges Handschrift. Erleichterung stieg in ihr auf, wenn auch keine Freude. Stattdessen verspürte sie einen stechenden Schmerz in der Magengrube.
» Wo ist Peter? « , lenkte sie ab und hob den kleinen Sammi auf ihren Schoß.
Es war ungewöhnlich, dass Klara zu ihr in die Kirche kam, meist steckte sie mit ihrem Ehemann zusammen, der ständig irgendwelche Wünsche an sie hatte. Nur selten war es ihr möglich, für eine kleine Weile mit der Cousine allein zu sein, und auch dann wollte sich die alte Vertrautheit nicht einstellen. Peter Siegel stand zwischen ihnen– und Klara schien nicht gewillt, etwas daran zu ändern.
» Peter bereitet eine Ansprache vor « , berichtete sie. » Stell dir vor, der arme Karl Manger ist nun doch gestorben. Wir hatten so sehr für ihn und seine junge Frau gebetet, aber der Herr hat es anders entschieden, und wir müssen uns seinem Willen beugen. «
Die Pflanzung Neu-Kronau war eine kleinere Kaffeeplantage nördlich der Domäne Kwai. Der Besitzer war beim Roden eines Waldstückes unter einen umstürzenden Baum geraten, George hatte ihn behandelt und ihm absolute Ruhe verordnet. Karl Manger hatte sich mehrere Rippen gebrochen, auch Lunge und Milz waren verletzt. Doch George war vor zwei Wochen abgereist und hatte nicht mehr nach dem Kranken sehen können…
» Das tut mir sehr leid « , erwiderte Charlotte beklommen. » Und nun soll Peter also die Beerdigung abhalten? «
Klara nickte. Obgleich auch sie über den
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