Sanfter Mond über Usambara
Gruppe afrikanischer Christen aus der Missionsstation Mtai traf in Hohenfriedeberg ein, und alle liefen aufgeregt zusammen, um sie zu begrüßen. Man hörte die hellen, trillernden Rufe der Frauen, Getränke für die durstigen Wanderer wurden herbeigebracht, die Hühner gackerten und flatterten erschrocken auf, die Ziegen meckerten, und die Kinder strömten aus der Bibelstunde auf den Hof hinaus. Ein solcher Besuch war immer Grund, den gewohnten Alltag zu unterbrechen und ausgiebig zu feiern. Manchmal fanden sich bei solchen Gelegenheiten auch Paare zusammen, eine neue Familie wurde gegründet, die sich in der Gemeinde ansiedelte. Nach wie vor gaben die Waschamba ihre Töchter nicht an einen bekehrten Christen, und viele junge Männer lebten unfreiwillig als Junggesellen.
Charlotte nutzte das Getümmel, um mit ihren beiden Begleitern unbemerkt aus der Missionsstation zu reiten. Was sie vorhatte, war bisher nur eine vage Idee, gegen die sie selbst nicht wenige Vorbehalte hatte. Und doch wollte sie es wenigstens versuchen.
» Wohin du willst, bibi Johanssen? « , fragte einer ihrer schwarzen Begleiter, Johannes Kigobo, neugierig.
» Nach Süden. Dorthin, wo die Domäne Kwai liegt « , antwortete Charlotte.
» Aber das weit ist. Wir bis zum Abend nicht zurück sein werden. «
» Wir reiten nicht ganz bis dorthin, Johannes Kigobo. Nur bis Neu-Kronau. «
» Ah, Jonas Sabuni versteht « , schaltete sich nun sein Kamerad ein. » Bibi Johanssen will weiße Frau trösten. «
» Du bist klug, Jonas Sabuni! «
Es war ein heißer Tag, die Nebel über den Urwäldern hatten sich früh gehoben, und die Landschaft erschien in einem klaren, hellen Licht. Ein vielfarbiger Bogen aus funkelnden Tröpfchen wölbte sich über dem Wasserfall zu Füßen des Dorfes Mlalo, schwarze Frauen und Mädchen hockten am Fluss, lachten und schwatzten, während sie die Wäsche über flache Steine rieben. Auf den bewaldeten Höhen schien jeder Baum, jeder Zweig wie mit dem Stahlstift gezogen, silbern glitzerte das Felsgestein, Bäche und schmale Rinnsale rieselten von den Bergen hinab durch das Wiesengrün, um sich in den Fluss zu ergießen. Es war ein gesegnetes Land, voller Licht, Farben und Töne, ein fruchtbares Land, das die Menschen ernährte wie der Garten Eden.
Schweigend ritten sie hintereinander, zuerst Johannes Kigobo, ihm folgte Charlotte auf dem Pferd, den Schluss bildete Jonas Sabuni. Im Urwald scheute das Pferd vor dem Dämmerlicht und den ungewohnt schmalen Pfaden, auch hatte es Mühe mit den trockenen Bachbetten, die man jetzt, in der heißen Jahreszeit, als Wege nutzen konnte. Die Maultiere waren weniger empfindlich, sie stiegen gleichmütig über umgestürzte Bäume und setzen die Hufe auf den glatten Steinen so sicher, als bewegten sie sich über einen breiten Weg.
Gegen Mittag endlich erreichten sie eine staubige Fahrstraße, die zwischen Weiden und einem frisch gerodeten Landstück hindurch einige Kilometer nach Süden führte. Auf der Rodung lagen noch gefällte Stämme und Äste in wildem Durcheinander, Vögel hockten auf den Stümpfen und pickten im frisch geborstenen Holz.
» Da drüben es ist gewesen « , sagte Johannes Kigobo und zeigte auf einen umgestürzten Stamm, dessen Krone noch belaubt war.
Charlotte begriff. Dort war der unglückliche Pflanzer zu Tode gekommen.
» Friede seiner Seele « , murmelte sie, und die beiden Schwarzen wiederholten ihre Worte.
Johannes Kigobo und Jonas Sabuni ritten mit gesenkten Köpfen und warfen scheue Blicke zu dem mächtigen Baum hinüber, der im Sterben denjenigen tötete, der ihn geschlagen hatte. Charlotte wusste, was sie dachten– das neu erworbene Christentum konnte den uralten Glauben in ihren Köpfen nicht auslöschen. Die Geister der Toten waren lebendig, sie waren erzürnt und hatten Macht über die Lebenden. Sie zögerte, dann zügelte sie ihr Pferd und stieg ab, um ein paar Blätter von einem Busch zu reißen und auf die Rodung zu werfen. Die beiden Waschamba sahen ihr stumm dabei zu, dann glitten sie von ihren Maultieren und folgten ihrem Beispiel, um die Totengeister zu beschwichtigen. Charlotte hatte kein schlechtes Gewissen, obgleich ihr Großvater, Pfarrer Henrich Dirksen, sie dafür vermutlich aus der Gemeinde ausgeschlossen hätte. Sie hatte schon vor Jahren gelernt, dass man gut daran tat, die Geister Afrikas zu respektieren.
Ein Gatter aus breiten Holzbrettern tauchte auf, dahinter schlängelte sich ein Weg durch niedriges Buschwerk und Wiesen zum
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