Sanfter Mond über Usambara
die in den größeren Städten angeboten wurden, allerdings fiel Charlotte auf, dass außer dem billigen Tand, den die Eingeborenen kauften, auch eine Menge teurer Artikel im Sortiment waren. In einem Nebenraum hatte man seidene Teppiche und reich bestickte Stoffe ausgestellt, Porzellan aus China, Silberschmuck und sogar zwei nagelneue Grammophone. Ein junges Paar in lächerlich neuer Tropenkleidung ließ sich Verschiedenes zeigen und unterhielt sich darüber in englischer Sprache– es schien sich um Reisende zu handeln, vielleicht waren sie mit dem Überseedampfer zu einer Afrika-Umrundung unterwegs. Die wohlhabenden Touristen wurden von den indischen Angestellten mit großer Liebenswürdigkeit bedient, obgleich sie schlussendlich nur einen kleinen silbernen Anhänger kauften.
Charlotte hatte Simba vor dem Laden angebunden, doch da er sich quer vor die Tür gelegt hatte, wagte niemand mehr, das Geschäft zu betreten.
» Ich möchte zu Kamal Singh « , sagte sie auf Englisch zu der zierlichen Inderin, die im Hintergrund des Ladens saß und Tee kochte.
» Er ist nicht hier « , kam die gleichmütige Antwort.
» Aber ich wurde ihm brieflich angekündigt. Mein Name ist Charlotte Johanssen. «
Die Inderin goss seelenruhig kochendes Wasser in die Teekanne und setzte mit ihren beringten, zartgliedrigen Fingern den Deckel darauf.
» Warten Sie bitte, Frau Johanssen. «
Simba zerrte an der Leine und stieß seltsam knurrende Laute aus– der hölzerne Türflügel, an dem Charlotte ihn festgebunden hatte, bewegte sich knarrend.
» Worauf soll ich warten? Sie sagten doch, Kamal Singh sei nicht hier. «
» Man wird Sie zu ihm führen. «
Endlich bequemte sich die Frau, von ihrem Sitz aufzustehen, und verschwand hinter einem hellblauen Vorhang. Gleich darauf schlüpfte ein Junge von irgendwoher in den Laden, ein braunhäutiger Bursche mit glattem schwarzem Haar und wulstigen Lippen. Sein Hemd und die halblange Khakihose waren reichlich mitgenommen– ganz offensichtlich verdiente er sich hier als Laufbursche ein paar Pesos.
» Menos führt Sie zu Kamal Singh « , sagte er mit ernster Miene und machte eine Verbeugung.
In respektvollem Abstand sah er zu, wie Charlotte den großen Hund losband, dann ging er todesmutig neben ihr her und wandte immer wieder besorgt den Kopf nach dem rotbraunen Riesen. Der Wind, der um diese Jahreszeit kräftig vom Meer her wehte, war dem Hund lästig, besonders wenn er von hinten kam und sein langes Fell bauschte. Dann schüttelte er sich unwillig, dass ihm die Ohren um den dicken Kopf flatterten.
» Schöner Hund « , sagte Menos nach einer Weile. » Sie brauchen vor niemandem Angst zu haben, Lady. Er wird Sie sogar vor einem Löwen beschützen. «
» Er frisst auch so viel wie ein Löwe « , gab sie lächelnd zurück. » Vor allem liebt er Hühner und Enten. «
Menos führte sie in nordöstlicher Richtung durch die Stadt, bis sie zwischen den Palmen hindurch das smaragdgrüne Wasser der Bucht sehen konnte.
» Dort ist das Haus von Kamal Singh, Lady. Ich bringe Sie bis zum Eingang. «
Das Gebäude, auf das sein brauner Finger deutete, befand sich hinter einer weißen Mauer und war teilweise von den grünen Wipfeln der Palmen und Akazien verdeckt. Charlotte sah hohe Fensterbögen, geschmückt mit orientalischen Schnitzereien, und zwei viereckige, zinnenbewehrte Türmchen. Kamal Singh schien in einer Art Palast zu leben.
Ein zweiflügeliges Tor verwehrte dem ungebetenen Besucher den Eintritt. Es war aufwendig aus Eisen geschmiedet und sah aus wie eine Reihe von Speeren, deren vergoldete Spitzen in den Himmel wiesen. Ein kräftig gebauter Schwarzer stand auf der anderen Seite des Tores, lehnte den Rücken gegen die Mauer und rauchte eine Zigarette. Als er sie kommen sah, löschte er die Zigarette sorgsam im trockenen Sand und nahm Haltung an. Ob er früher bei den Schutztruppen als Askari gedient hatte? Die phantasievolle Kleidung und die Mütze wiesen darauf hin.
» Frau Johanssen? «
Die Worte klangen seltsam aus seinem Mund, obgleich er sich große Mühe gab, sie richtig auszusprechen. Charlotte erklärte ihm auf Suaheli, dass Kamal Singh sie erwarte, er nickte dienstfertig und hob den schweren Türriegel.
Sie gab Menos zwei Rupien, die er mit einer tiefen Verbeugung annahm und in der Hosentasche versenkte, dann warf er einen letzten Blick auf Simba und lief eilig davon. Der Torwächter trat ehrfurchtsvoll zurück, als sie mit dem angeleinten Hund das Tor passierte, auch ihm war
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