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Sanfter Mond über Usambara

Sanfter Mond über Usambara

Titel: Sanfter Mond über Usambara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Bach
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der mächtige Bursche suspekt. Charlotte blieb schon nach wenigen Schritten stehen, um die märchenhaft schöne Anlage zu bewundern. Ein Garten, wie in Tausendundeine Nacht beschrieben, umgab die Villa. Auf Marmorpodesten standen Pflanzkübel, rechteckige Wasserbecken, durch Kanäle miteinander verbunden, spiegelten das Sonnenlicht und schufen doch die Illusion von Kühle. Längs der Mauer wucherte Buschwerk, dazwischen erhoben sich Palmen, Maulbeerbäume und Orangenbäume, in einer Ecke des Gartens befand sich ein dunkelgrüner Bambushain. Wie musste dieser Park erst nach der Regenzeit aussehen, wenn er schon jetzt, in der trockenen Phase des Jahres, eine solche Oase war?
    Ein Diener mit weißem Turban empfing sie an der Eingangstür. Charlotte band Simba vor dem Haus fest, da es zu unhöflich gewesen wäre, die Villa in Begleitung eines Hundes zu betreten. Sie hörte ihn ärgerlich bellen, während sie dem Diener durch die Eingangshalle folgte und eine breite Treppe in den ersten Stock hinaufstieg.
    Kamal Singh hatte sich nicht ganz so fürstlich eingerichtet, wie sie zuerst vermutet hatte, doch allein die vielen Teppiche, welche die Böden dicht an dicht bedeckten, waren vermutlich ein Vermögen wert. Diener und junge weibliche Angestellte waren überall zu sehen, sie taten jedoch nicht viel, sondern saßen herum und schienen auf Anweisungen zu warten. Im oberen Geschoss durchquerten sie einen lang gestreckten schmalen Raum, an dessen Wänden zu beiden Seiten verglaste Bücherschränke standen, einer neben dem anderen, alle mit braunen und schwarzen Lederfolianten bestückt. Ein schwarzbärtiger junger Mann im seidenen Kaftan kam ihnen entgegen, starrte Charlotte hochmütig aus goldblitzenden Augen an, und als er an ihnen vorüberging, glaubte sie, einen feindseligen Zug in seiner Miene zu erkennen. Wer war er? Einer von Kamal Singhs Söhnen? Ein Geschäftspartner? Ein Schwiegersohn? Sie war verwirrt. Etwas in diesem Haus nahm ihr den Atem und ließ Bilder und Erinnerungen in ihr aufsteigen, von denen sie bisher nichts geahnt hatte. Dort der geschnitzte Schrank, in dem Jagdwaffen aufbewahrt wurden– hatte sie ihn schon einmal gesehen? Dieses goldgerahmte Bild, das einen Tempel zeigte– kannte sie das nicht?
    Ich werde es irgendwo in einem Buch gesehen haben, sagte sie sich. Aber dann verblüffte sie ein dunkelroter, weiß und silbern bestickter Wandschirm, auf dem zwei Kraniche zwischen zartem Pflanzenwerk dargestellt waren. Er schien aus einem ihrer Träume zu stammen.
    Ich bin verrückt, dachte sie. Etwas in meinem Gehirn ist durcheinandergeraten. Und doch– sie war zwei Jahre alt gewesen, als ihre Mutter sie von Bombay nach Deutschland brachte. Konnte man sich so weit zurückerinnern?
    Kamal Singh empfing sie in einem schmucklosen quadratischen Raum, in dem es nur einen eingelegten Tisch und einige schön geschnitzte Sessel gab. Dafür war der Blick aus den drei gewölbten Fenstern umso großartiger, denn man sah direkt aufs Meer hinaus.
    Er blieb sitzen, als sie eintrat, und hob nur leicht die Hand, um dem Diener anzudeuten, dass er verschwinden solle. Kamal Singhs Gesicht unter dem großen Turban schien kleiner geworden zu sein, die Haut war immer noch glatt, doch die Augen lagen tiefer, und der Bart war nicht mehr grau, sondern weiß. Seine Gestalt wurde von dem weiten gelben Kaftan fast ganz verhüllt, nur die Hand, die auf dem Intarsientisch ruhte, kam ihr hell und faltig vor.
    » Frau Charlotte… Johanssen « , sagte er mit leisem Spott. » Wir haben uns lange nicht gesehen. Seien Sie mir willkommen. «
    Er wies auf einen Sessel und klatschte dann in die Hände. Eine junge Dienerin trug ein Tablett herein, auf dem zwei Porzellantassen mit heißem, duftendem Tee und mehrere Schalen mit allerlei Backwerk standen.
    » Verzeihen Sie, dass ich Sie nicht selbst bediene, wie ich es früher so oft getan habe… Man wird bequem mit dem Alter, Frau Johanssen. «
    » Ich denke gern an die Zeit in Daressalam zurück « , sagte sie, um Freundlichkeit bemüht. » Sie haben mir sehr geholfen– später allerdings… «
    Er lächelte und beugte sich über seine Tasse, um den Duft des Tees einzuatmen.
    » Lassen wir die alten Zeiten ruhen. Es hat sich alles zum Besten gewendet, sowohl für Sie als auch für mich. Schauen Sie hinaus, Charlotte. Was sehen Sie? «
    Er hob den Arm und zeigte zu den Fenstern hinüber, der weite Ärmel seines Kaftans glitt ein wenig hinauf und gab sein dünnes Handgelenk frei.
    » Das Meer.

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