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Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Titel: Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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oderder Science Po erinnert fühlen. Im Unterschied zu diesen Eleven gehört zum esprit de corps der Unions-Beamten nicht nur die mühelose Beherrschung der ungeschriebenen Regeln und des Jargons, sondern auch eine neuartige Spielart des Internationalismus. Eine zu enge Bindung an das Herkunftsland gilt hier als unschicklich. Man ist polyglott und legt Wert darauf, daß der eigene Stab sich aus möglichst vielen Mitgliedsländern rekrutiert.
    Nicht nur der Kontakt zu der Stadt, in der man wohnt, beschränkt sich auf das Notwendigste. Auch auf die formale und geographische Distanz zur europäischen Lebenswelt wird geachtet. Diese Abgehobenheit ist kein Fehler, sie ist sogar erwünscht; denn nur so kann überzeugend dargetan werden, daß man unparteiisch vorgeht.
    Die unvermeidlichen Folgen liegen auf der Hand. Isolation und Selbstreferenz nehmen mit der Entfernung zu. Das bedeutet auch, daß die Entscheidungen, die hier getroffen werden, den Außenstehenden immer schwerer zu vermitteln sind. Man tut den emsigen Überzeugungstätern von Brüssel nicht Unrecht, wenn man annimmt, daß die Demut nicht zu ihren Stärken gehört.

VI
Die halbvergessene Vorgeschichte
    Wie es soweit gekommen ist? Bei der Beantwortung dieser Frage können wir uns die Prähistorie sparen. Es ist nicht nötig, sich bei Karl dem Großen aufzuhalten, obwohl die Union sich gern mit seinem Namen schmückt; auf ihn hat sie ein sechzehnstöckiges Glashaus an der Rue de la Loi getauft, in dem heute verschiedene Generaldirektoren hausen. Noch weniger brauchen wir auf Napoleon Bonaparte und Adolf Hitler zurückzukommen, die beide, wenngleich auf grundverschiedene Weise, damit gescheitert sind, diesem Erdteil eine Zwangsjacke zu verpassen.
    Auch wäre es zuviel verlangt, die vielen Leute zu nennen, denen im vergangenen Jahrhundert etwas im Kopf herumspukte, was sie die »Europa-Idee« nannten. Einer ihrer Wortführer war der Graf Coudenhove-Kalergi, der schon 1923 mit einem Manifest hervortrat, das den Titel Pan-Europa führte. Unzählige idealistische Bewegungen, Unionen, Aktionskomitees und Sekten sind aus dieser Idee hervorgegangen, unter der jede von ihnen etwas anderes verstand. Schon deshalb haben sich diese Gruppen bald in alle möglichen Rivalitäten und Zwistigkeiten verstrickt. Bei den Realpolitikern hielt sich ihr Echo in Grenzen.
    Richtig ernst wurde es erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit dem beginnenden Kalten Krieg nahm die europäische Sache Fahrt auf. Den Startschuß feuerte 1946 Winston Churchill mit seiner berühmten Fultoner Rede ab, in der er nicht nur das Wort vom Eisernen Vorhang prägte, sondern auch ein neues, vereintes Europa forderte, von dem keine Nation ausgeschlossen bleiben dürfe. Das bezog sich natürlich in erster Linie auf die Deutschenund war schon deshalb überraschend, da es außer den Indern kein Volk gab, das Churchill unsympathischer war als das deutsche. Auch für die benachbarten Nationen stellte seine Einsicht, man könne das Land in der Mitte des Kontinents auf die Dauer nicht ausschließen, ein knappes Jahr nach Kriegsende eine ziemliche Zumutung dar. Ein paar Monate später präzisierte er seine Vorstellungen und sagte in Zürich: »Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa aufbauen … Der erste praktische Schritt dazu wird die Einrichtung eines Europäischen Rates sein. Bei dieser dringenden Aufgabe müssen Frankreich und Deutschland die Führung übernehmen … Ich sage Ihnen: › Let Europe arise! ‹«
    Natürlich hatte er mit seinem Vorstoß weniger das Wohl der Deutschen im Auge als die sowjetische Bedrohung. Zum einen sah er, daß die Kriegsallianz mit den Russen nicht zu retten war, und zum andern wollte er ein zweites Versailles verhindern. Deshalb trat er den traditionellen französischen Rezepten entschieden entgegen, die auf territoriale Forderungen an Rhein und Ruhr hinausliefen. Die Amerikaner und die Briten, die den Kalten Krieg kommen sahen, konnten auf solche Wünsche nicht eingehen. Anderen, die sich nur allzugut an deutsche Okkupanten erinnern konnten, mißfiel die Vorstellung, man müsse sich mit ihnen versöhnen.
    Dennoch wagte Churchill schon bald darauf den nächsten Schritt. Er beauftragte seinen Schwiegersohn Duncan Sandys damit, in der niederländischen Hauptstadt eine denkwürdige, heute ganz vergessene Veranstaltung zu organisieren: den Haager Kongreß für die Vereinigung Europas im Mai 1948. Churchill selbst übernahm den Vorsitz bei diesem Treffen und hielt die

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