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Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Titel: Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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Eröffnungsrede. Kaum je zuvor oder danach hat es so ein sonderbares Konzil mit über 750 Teilnehmern aus zwanzig Ländern gegeben. Keine einzige Regierung stand dahinter, und bis heute ist unklar geblieben, wer das Unternehmen finanziert hat. Verschwörungstheoretiker vermuten, daß amerikanische Dienste dabei die Hand im Spiel hatten.
    Es war eine bizarre Mischung von Träumern und knallharten Strategen, die sich da im Rittersaal des niederländischen Parlaments versammelte. Neben führenden Politikern wie Daladier und Mitterrand, Eden und Macmillan traten nicht nur Denker wie Bertrand Russell, Denis de Rougemont und Raymond Aron auf die Bühne, sondern auch Dichter und Schriftsteller wie T. S. Eliot, Ungaretti, Madariaga und Silone. Es fehlten nicht einmal die Theologen. Neben einigen anglikanischen Bischöfen erschien auch Martin Niemöller. Eine solche Konstellation wäre heute vollkommen undenkbar.
    Die deutschen Teilnehmer genossen nicht nur das strahlende Maiwetter, sie freuten sich auch darüber, daß sie zum ersten Mal nach dem Krieg als Gleichberechtigte am Verhandlungstisch Platz nehmen durften. Natürlich durfte auch Coudenhove-Kalergi mit seinen Anhängern nicht fehlen. Alle möglichen »Unionen«, »Bewegungen« und »Komitees« mit großspurigen Namen und wenig Rückhalt zankten miteinander über ihre Ideen. Vor allem gerieten sich die Fraktionen der Föderalisten und der Unionisten zwei Tage lang in die Haare. Von Wirtschaftsfragen war wenig die Rede. Wenigstens auf ein Ergebnis konnten sich alle einigen. Das war die Gründung des Europarates, zu der es ein Jahr später gekommen ist. Während aber die Idealisten ihren Visionen nachhingen, verständigten sich die Pragmatiker auf die nächsten Schachzüge ihrer Interessenpolitik.
    Drei unauffällige Herren, die einander wahrscheinlich nie zuvor begegnet waren, saßen in Den Haag in den hintersten Reihen: ein Kölner Oberbürgermeister im Ruhestand, der Konrad Adenauer hieß, Melvin Lasky, ein amerikanischer Publizist, der in Berlin lebte und dem gewisse Beziehungen zur CIA nachgesagt wurden, und ein Franzose namens Jean Monnet, der aus dieser Geschichte nicht wegzudenken ist, weil er es war, der den nächsten entscheidenden Schritt zur europäischen Integration getan hat.
    Dieser Mann ist einen Exkurs wert. Er entsprach in keiner Weise der Vorstellung, die man sich von einem Politiker zu machenpflegt. Auf alten Photographien ist ein stets frohgemuter, eher untersetzter Herr mit Embonpoint und tadellos gestutztem Schnurrbart zu sehen, wie man ihn eher in einem Rotary Club vermuten würde. Nie hat sich Monnet in einem Wahlkampf um ein politisches Amt beworben. Das Bad in der Menge gehörte nicht zu seinen Vorlieben, sowenig wie das Blitzlichtgewitter der Kameraleute. Er hat es stets vorgezogen, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, sozusagen aus der Kulisse heraus, zu arbeiten. Angesichts des Einflusses, den er auf den verschiedensten Gebieten ausgeübt hat, ist dies eine Haltung, mit der er ziemlich einsam dasteht. Eitelkeit und Ruhmsucht, wesentliche Triebkräfte der politischen Klasse, gehörten offenbar nicht zu seinen Passionen.
    War Jean Monnet ein Abenteurer? Auf diese Idee könnte man kommen, wenn man sich vergegenwärtigt, was er so alles getrieben hat. Er war Unternehmer, Financier, Staatskommissar und Organisator eines Rüstungskartells, das beim Sieg der Alliierten über das Deutsche Reich eine entscheidende Rolle gespielt hat. Schon lange vorher, nämlich 1914, hatte er »festgestellt, daß dort, wo Organisation herrschte, auch die Macht war«. Im Kriege gehe es darum, »die Marktwirtschaft in eine rationellere Organisationsform zu überführen«.
    Die Fäden seines weltweiten Netzes von Beziehungen hat Monnet nach und nach bis nach London und San Francisco, nach Warschau und Shanghai, nach Genf und Moskau, nach Kairo, Stockholm, Washington und Algier geknüpft. Auf Gehälter und Pensionen, wie sie der Staatsdienst mit sich bringt, war er nie angewiesen. Er hatte Geld genug, obwohl die internationalen Finanzgeschäfte, denen er seine Unabhängigkeit verdankte, ihn, wie er sagte, stets gelangweilt haben.
    Bereits 1945 – der Krieg war noch nicht zu Ende – stellte Monnet sich »ein System vor, in dem die Kohle- und Stahlvorräte der Ruhr unter eine europäische Behörde gestellt und zum Nutzen der partizipierenden Nationen, das entmilitarisierte Deutschlandinbegriffen, verwaltet werden sollen«. Die Voraussetzung dafür sei, »daß Europa

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