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Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas

Titel: Sanftes Monster Bruessel oder die Entmuendigung Europas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Magnus Enzensberger
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namens ECU , das nur als reine Verrechnungsgröße gedacht und durch einen Korb aus Währungen definiert war. Es ist wohl kein Zufall, daß damitan eine französische Goldmünze erinnert werden sollte, die dort vom Mittelalter bis zur Renaissance gebräuchlich war. Diese neugeschaffene Währungseinheit kam der Bevölkerung nur zu seltenen Gelegenheiten in Form von Sondermünzen zu Gesicht. Auch als sich der ECU 1999 in den Euro verwandelte, blieb er zunächst als reines Buchgeld eine abstrakte Größe. Erst am 1. Januar 2002 hatten ihn die Bewohner der neugeschaffenen Eurozone in der Tasche. Zu diesen Beschlüssen gehört wurden die Leute nur in Ausnahmefällen, so als die Dänen und die Schweden in zwei Referenden ihre Meinung kundtun durften, die beide mit einer Ablehnung endeten. In anderen alten Demokratien wie in Großbritannien, der Schweiz oder Norwegen war für den Beitritt ohnehin keine Mehrheit in Sicht.
    Der sogenannte Stabilitäts- und Wachstumspakt, seit 1997 geltendes Recht, schrieb vor, daß der Schuldenstand der Mitgliedsländer 60 % und ihre Neuverschuldung 3 % des Bruttoinlandsprodukts nicht überschreiten dürfe. Niemand hat sich um diese Regeln je gekümmert. Italien und Belgien wurden 1999 in die Eurozone aufgenommen, obwohl ihre Staatsschulden im Referenzjahr 1997 bei über 120 % des BIP lagen. Griechenland trat später auf Grund gefälschter Zahlen bei, die niemand geprüft hat. Aber nicht nur die schwächeren, sondern auch die schwergewichtigeren Staaten wie Frankreich und Deutschland haben den Pakt je nach Opportunität umgedeutet oder einfach ignoriert. Inzwischen prophezeit die Kommission für 2010, daß von sechzehn Ländern der Eurozone sich nur ein einziges an die Kriterien des sogenannten Stabilitätspaktes halten wird, nämlich Luxemburg. Die Staatsverschuldung liegt bei zwölf der Genossen über 60 %, mit Spitzenwerten bis zu 140 %. Die Abmachungen von 1997 sind zur Lachnummer geworden.
    Noch weit gravierender sollte sich eine andere Regel für die Eurozone auswirken, die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgezurrt worden ist. Dort heißt es im Artikel 125: »Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die Verbindlichkeiteneines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein.« Das gleiche gilt für die Union als Ganzes.
    Natürlich fehlt es auch hier nicht an einer Gummiklausel, die es erlaubt, diese Bestimmung außer Kraft zu setzen. Der Artikel 122 eröffnet einen Notausgang. Danach kann der Rat auf Vorschlag der Kommission »aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen« finanzielle Nothilfen zulassen. Diesen Hebel hat der Europäische Rat benutzt, um den Vertrag auf den Kopf zu stellen.
    Seitdem hagelt es neue Abkürzungen. 2010 hat der Rat den European Stabilization Mechanism beschlossen, und unter dem Dach von ECOFIN wurde nicht nur der EFSM , sondern auch die EFSF eingerichtet. Das ist eine jener beliebten Abkürzungen, unter denen sich niemand etwas vorstellen kann. Es handelt sich um eine »Fazilität«, ein Wort, das aus dem Lateinischen stammt und soviel wie »Leichtigkeit, Gewandtheit, Gefälligkeit« bedeutet. Weil das ziemlich anrüchig klingt, hat man sich darauf geeinigt, das Ganze einfach »den Rettungsschirm« zu nennen. (Diese Metapher geht übrigens auf jenen Monsieur Monnet zurück, von dem bereits die Rede war, nur daß er, dem jedes Pathos verdächtig war, sich 1922 weniger dramatisch ausdrückte, als es um den drohenden Bankrott Österreichs ging. Er sprach damals lieber von einem Regenschirm.)
    Zum Rettungsschirm gehören neben der Gefälligkeitsbereitschaft der Mitgliedstaaten auch noch Garantien der Europäischen Union und Mittel des Internationalen Währungsfonds.
    Der Preis dieses phantastischen Gebrauchsgegenstandes, der da-zu dienen soll, die Union vor Unbilden zu schützen, die sie selbst herbeigeführt hat, läßt sich nur mit zwölfstelligen Ziffern angeben. Im Moment scheint er bei € 750 000 000 000 zu liegen, aber, wenn das nicht reichen sollte, kann er bei Bedarf jederzeit erhöht werden. So hat sich die Eurozone unter der Hand in eine Transferunion verwandelt, in der jedes Mitglied für alle andern unbegrenzt zu haften hat.
    Weil das nicht nur dem Geist und dem Buchstaben des Vertrages von Maastricht widerspricht, sondern auch denen, die zahlen sollen, schwer zu vermitteln ist, hat man zwei weitere Gefälligkeiten erfunden. Zum einen wurde die Europäische Zentralbank

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