Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
Vom Netzwerk:
Boden.
    »Offenbar bin ich noch betrunkener geworden. Von zwei Gläschen … Was ist das da für eine Luft … so weit. Man findet in sich gar nicht ausreichend Platz dafür …«
    Sascha stand regungslos, er kam sich selbst wie eine Säule vor. Und genau das sagte er sich auch in Gedanken: »Ich bin eine Salzsäule.« Warum gerade eine aus Salz, wusste er selbst nicht.
    Es schien, als würden seine Beine keine Feuchtigkeit spüren, die Hände – keine Kälte.
    Der Richter trug genau dieselbe Jacke, dieselben Schuhe wie am Vortag. Angespannt und streng – fand Sascha.
    Sascha wartete eine halbe Minute ab und folgte ihm, er behielt den wippenden grauen Haarschopf im Auge.
    »Es würde schon jetzt gehen«, sagte er sich selbst.
    »Nein, da sind zu viele Menschen.«
    »Zögere es nicht hinaus.«
    »Ich zögere nichts hinaus. Ich gehe. Ich bin bereit.«
    Die Hände in der Tasche stapfte er dahin.
    Er wollte rauchen, zwang sich aber, es nicht zu tun. Das würde ablenken.
    Sascha fühlte sich, als wären ihm alle Organe entnommen, gekocht und wieder hineingestopft worden – zerkocht, ein wenig zitternd.
    Das Hirn zerfloss an der Schädeldecke. Die Augen waren bei allem eiskalt und glänzten weiß. Die Finger waren wie ausgedünnt – ebenso eiskalt, aber kräftig, angespannt, auch sie zitterten nicht.
    »Recht dem Recht, das Leben ist, wie es ist«, wiederholte Sascha für sich, um an nichts anderes denken zu müssen und nur auf den Nacken zu schauen.
    »Recht dem Recht, das Leben ist, wie es ist, Recht dem Recht, das Leben ist, wie es ist …« – vom oftmaligen Wiederholen verlor sich der Sinn dieser Wörter, sie stolperten und flossen ineinander: »RechtdemRecht, LebenLeben, RechtdemRecht, LebenLeben.« Es klang so, als würde irgendein Vogel zu picken anfangen – Gänse mit ihrem schlanken Hals: »RechtdemRecht, RechtdemRecht, RechtdemRecht …«
    »Also jetzt. Jetzt gleich, habe ich gesagt«, befahl er sich selbst, als wäre ein grober Faden abgerissen.
    Er beschleunigte seinen Schritt, Sascha entsicherte die Pistole, die in seiner Tasche steckte.
    Im vollen Lauf, fünfzehn Meter von jenem Menschen entfernt, der in wenigen Augenblicken sterben sollte, hielt Sascha ganz kurz inne – ihm, oder genauer gesagt, dem Richter, kam ein anderer Mann entgegen.
    »Was soll das, zum Teufel?«, fluchte Sascha, wütend, er wusste nicht, was er tun sollte.
    Der Entgegenkommende holte aus einer großen Tüte zielstrebig einen metallischen Gegenstand heraus – eine Maschinenpistole. Innerhalb von fünf Sekunden bekam der Körper des Richters die Bleigeschosse ab – sein Körper krümmte sich, stürzte zitternd zu Boden. Die Schüsse waren aus einer Entfernung von zwei Metern abgefeuert worden.
    Dann wurde die Waffe dem am Boden Liegenden an die Stirn gesetzt und eine weitere Salve abgefeuert.
    Sascha setzte sich automatisch hin – schaute die ganze Zeit auf den daliegenden Richter, dessen schmutzige Hose und die schweren Schuhe. Zuerst zuckten die Beine noch, dann hörten sie auf. Die Maschinenpistole fiel neben der Leiche zu Boden. Der Mann, dessen Gesicht Sascha aus irgendeinem Grund nicht gesehen hatte, drehte sich um, lief leichten Schritts in die Gegenrichtung und bog dann bald irgendwohin ab.
    »So eine Sauerei …«, sagte Sascha leise.
    Er stand auf, glaubte seinen Augen nicht, ging näher zum Körper des Richters. Die grauen Haare waren verklebt – jetzt, da der Richter lag, waren es noch mehr Haare. Überall floss Blut, es rann unter der Jacke hervor.
    »Jetzt kommen sie gleich, und du hockst da mit der Pistole«, sagte er zu sich selbst.
    Er hob seine entgeisterten Augen. Passanten schauten ihn an – und keiner wollte sich entschließen, näher zu kommen. Sascha stand auf und ging rasch weg, ohne sich umzusehen.
    Einige Minuten später spürte er, dass es ihn im Genick zog. Offenbar folgte ihm jemand.
    »Ich hätte die Knarre wegwerfen sollen.«
    »Nein, das geht nicht, sie finden sie.«
    »Wenn es die Polizei ist, dann hätten sie ihn schon aufhalten müssen.«
    »Vielleicht – laufe ich weg?«
    Sascha setzte mit anspannten Muskeln zu einem Sprung an, und hörte im selben Moment den Klang der Sirene – ein Polizeiauto schoss vorbei.
    »Wenn ich gelaufen wäre, hätte sie mich angehalten. Glück gehabt? Hatte ich Glück? Schon zum zweiten Mal?«
    »Geh ruhig weiter, du hast Glück …«
    Sascha bog aufs Geratewohl ab. Beschleunigte die Schritte.
    Er spürte etwas, er spürte einen Blick. Sascha

Weitere Kostenlose Bücher