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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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Gehen zog er den Plan heraus, vergewisserte sich.
    Beim Parkeingang begann er die Schritte zu zählen, gab es aber bald auf, er verließ sich auf sein visuelles Gedächtnis, hoffte, sich nicht zu irren, und fand den Weg.
    Er blickte sich rasch um, bog vom Weg ab, ging bis zum Baum, hastig; ohne sich ein zweites Mal umzusehen, grub er die Waffe aus, versteckte sie unter dem Shirt an seiner Brust.
    »Irgendwo im Café, in der Toilette, schiebe ich die Patronen ins Magazin«, beschloss er. »Und die Pistole werfe ich dann in den Fluss. Schießen werde ich, wo es am besten geht. Ganz egal, wo. Auch wenn sie mich erwischen – das ist egal.«
    Er hatte noch viel Zeit.
    »Und wenn er heute auf einmal nicht kommt?«, überlegte er träge.
    »Er wird kommen«, gab er sich voller Überzeugung selbst die Antwort.
    Er fand das Gerichtsgebäude, ging daran vorbei, ohne hinzuschauen; allein der Anblick der Mauern und Fenster war bedrückend und versetzte ihn in Aufregung.
    Er beschloss in ein anderes Café zu gehen – nicht in jenes, in dem er sich am Vortag betrunken hatte. Um nicht aufzufallen.
    »Essen … Werde ich was essen? Ich werde was essen, ja. Und vermutlich auch etwas trinken. Nein, essen werde ich nichts. Ich trinke nur. Wenn ich nur Wodka und ein Glas Wasser bestelle – mache ich einen seltsamen Eindruck. Ich werde wohl auch noch etwas anderes brauchen.«
    Fast ohne zu schauen, tippte Sascha mit dem Finger auf irgendeine Speise.
    Ohnehin hätte er die Bezeichnung nicht so einfach lesen und verstehen können.
    Etwas wurde in einer kleinen Pfanne gebracht. Vermutlich hieß es – »Julienne«.
    Sascha kaute das Essen sorgfältig, den mit ruhiger und klarer Hand eingegossenen Wodka trank er langsam. Der Wodka kam ihm schwer vor, wie Quecksilber.
    »Wenn man ihn auf den Tisch schüttet, zerrinnt er wahrscheinlich in kleine Kügelchen.«
    Mit merkwürdiger Verblüffung schaute er sich bei seinen Verrichtungen zu und überlegte, warum seine Aufregung kaum merklich war – zumindest im Vergleich zu dem leichten Zipperlein, das er sonst vor jeder Prügelei im Hof oder während der Militärzeit verspürt hatte. Oder damals, im Wald? Nach jenem Tag – was hätte er noch fürchten sollen? Offenbar hatten die Gefühle eines Menschen auch ihre Grenzen – Sascha wusste immerhin recht genau, dass er vor Angst weder sterben, noch in Ohnmacht fallen würde, er würde auch keine Sekunde lang reglos erstarren.
    Von Zeit zu Zeit berührte er mit steifer Zunge den eingesetzten Zahn, versuchte ihn zu bewegen und zu lockern. Als wäre unter diesem Zahn, am nackten und von Blut durchpulsten Zahnfleisch die Antwort versteckt – warum jetzt nichts mehr wirklich schrecklich sein konnte.
    Aber woanders wuchs noch ein anderes, noch weniger aussprechbares Gefühl heran: eine andere Angst, nicht irdisch, mit der er seinen dummen Körper auf keinerlei Weise in Verbindung zu bringen vermochte.
    Sascha trank nochmal. Es gab keinen Wodka mehr.
    Er ging auf die Toilette, schloss sich in der Kabine ein. Er nahm die Pistole heraus, vorsichtshalber schaute er zur Decke.
    »Wenn die hier Kameras haben, werden sie noch glauben, ich will mir die Eier wegschießen«, versuchte Sascha sich selbst zu erheitern.
    Er schob die Patronen ins Magazin, entsicherte die Pistole und steckte sie in die Hose, unter den Gürtel. Dann überlegte er es sich anders, zog sie heraus, steckte sie in die Tasche zurück. Er entleerte seine Blase. Drückte die Spülung, schaute dem Schwall nach. Er merkte, dass er betrunken war. Er beschloss auf die Straße hinaus zu gehen, den Häuserblock zu umrunden, bis der Kopf wieder klar würde.
    Beim Gehen schaute er geradeaus, vor sich, ohne auf die Menschen zu achten, vertrieb den Gedanken: »Und wenn er weggeht, während du hier rumläufst?«
    Er geht nicht weg. Es wäre viel schlimmer, vor dem Gericht zu stehen und zu warten.
    »Und wenn dich jetzt die Polizei anhält?«
    »Nein. Gar nichts passiert.«
    Bei der fünften Runde sah er in der Menge ganz deutlich Chomut …
    Er war auffallend besser gekleidet, als er es sich eigentlich leisten konnte, und er ging an Sascha vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen …
    Während der sechsten Runde kam Sascha aus dem Takt und hörte zu zählen auf.
    Obwohl er nicht wusste, wie viel Zeit vergangen war, spürte er, wie heftig sein Herz klopfte, er blieb stehen.
    »Das Gericht, Sascha«, sagte er zu sich selbst. »Sascha, das Gericht.«
    Er verschnaufte ein wenig, schaute zu

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