Sankya
Hand in Hand.
»Ich habe eine …«, sagte Jana, als sich Sascha in die Schlange für eine Fahrkarte stellen wollte.
Sie gingen durch das Drehkreuz. Sascha gab Jana die Fahrkarte zurück, sie schaute, wie viele Fahrten noch drauf waren und sagte lächelnd: »Keine Fahrt mehr.«
Sie drehte die Karte in ihren flinken Fingern und schaute dabei Sascha an – sie fuhren schon auf der Rolltreppe – als sie plötzlich die Hand zur Seite streckte, ohne Sascha aus den Augen zu lassen, und die Karte auf die Fläche zwischen den Rolltreppen fallen ließ. Die Karte rutschte sofort weg, doch sie erwischte sie schnell wieder, sie war hängengeblieben.
Im Waggon legte Sascha seine leichte Hand ruhig auf Janas grazile Schulter, sie unterhielten sich inzwischen über etwas Ernsthaftes. Denn jetzt konnte man schon über ernste Dinge sprechen. Er erzählte von sich – Jana hatte ihn darum gebeten. Da es Sascha aber nicht interessierte, über sich zu reden, wechselte er bald zu anderen Themen und sprach über die Zeit, in der sie lebten und die sie mit ihren eigenen Augen sahen.
Die Zeit war unsinnig, ungerecht, unehrlich – daran hatte Sascha nie gezweifelt, auch Jana bezweifelte das nicht, also fiel das Reden auch leicht.
Als sie die Metro verließen, hatte es zu regnen aufgehört, es war mittlerweile absolut finster. Es war die letzte Station irgendeiner langen Metrolinie, schon fast in der Einöde. Sie gingen gut gelaunt dahin, warfen Scherze hin und her, wie einen kleinen Ball, sie waren leicht aufzunehmen. Sie balancierten zwischen Pfützen, und Jana beschwerte sich fröhlich über das viele Wasser. An der größten Lache nahm Sascha Jana, die unentschlossen stehengeblieben war, an der Hand und hob sie drüber.
»Was machst du da?«, sagte sie leise, aber deutlich; eine Strähne berührte Saschas Wange, und plötzlich verstand er, dass Jana sich zierte – und außerdem verstand er, dass er gewonnen hatte, dass alles Weitere so geschehen würde, wie er es wollte, denn jetzt war er der Stärkere.
»Oder sie wollte, dass ich stärker bin, was mir nicht schwerfällt …«
In einem kleinen Geschäft mit Fenster für den Straßenverkauf besorgte er Schampanskoje und eine kleine Torte.
Sie gingen in den dritten Stock hinauf, Jana öffnete die Tür und sagte in plötzlich kühlem Ton: »Komm rein. Hier ist Chaos, entschuldige.«
Sie zog auf dem Weg ins Zimmer die Stiefel aus, ließ sich rücklings auf den unaufgeräumten Diwan fallen. Drückte auf die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.
»Mach’s dir gemütlich«, sagte sie zu Sascha, ohne ihn anzusehen.
All das gefiel ihm natürlich nicht besonders.
»Ich möchte ein bisschen sitzen, dann koche ich was. Du hast wahrscheinlich Hunger. Meine Freundin kommt heute nicht, ich mach dir auf dem Boden ein Bett, bleib hier.«
Jana sprach mit distanzierter Stimme, als hätten sie nicht gerade auf der Straße noch gelacht.
Sascha schwieg. Er setzte sich auf den Stuhl in der Zimmerecke, schaute manchmal zögerlich zu Jana, die durch die TV-Kanäle zappte, jeder wie eine zerrissene Plastiktüte voller Müll, Rauschen – das dich mit einer Sturzflut von buntem und abgestandenem Zeug überschüttet.
Jana schwieg.
Sascha bemerkte auf dem kleinen Tischchen Kostenkos Buch, blätterte es durch, obwohl er fast alles kannte, was der Anführer der »Sojusniki« geschrieben hatte.
Um die eingetretene Stille nicht allzu unerträglich werden zu lassen, fragte Sascha: »Müde?«
Allerdings enthielt diese Frage grundsätzlich ein höheres Ausmaß an Intimität, als das, was Jana jetzt offenkundig zugestand – sie antwortete völlig emotionslos.
»Es geht.«
Sascha lächelte.
»Na, dann lege ich mich auf den Boden schlafen …«, dachte er ruhig, ohne jede Aufgeregtheit. »Was soll’s, nicht richtig geraten«, sagte er sich, nicht beleidigt, auch wenn irgendwo innen ein frecher Nerv zuckte, dass er es – nein, nein, richtig erraten hatte.
Zehn Minuten später ging Jana, ohne Sascha zu beachten, in die Küche und fragte dann von dort aus: »Isst du Buchweizengrütze? Mit etwas, das an Fleisch erinnert?«
»Wenigstens macht sie Scherze«, dachte Sascha ein wenig melancholisch. Er stand auf und ging zu Jana in die Küche.
Sie betrachtete traurig eine kleine, auf dem Feuer stehende Pfanne, in der Buchweizen mit dunkler Soße heiß wurde.
Der Küchentisch war mit einem ausgeblichenem, an verschiedenen Stellen zerschnittenen Wachstuch bedeckt, im Ausguss standen
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