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Sankya

Sankya

Titel: Sankya Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zakhar Prilepin
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ausstoßend, lenkte das Gespräch von sich aus auf anderes.
    »Brauchst du etwas aus dem Bunker?«, fragte sie rasch.
    »Nein«, antwortete Sascha – von seiner Vorahnung gelenkt – ganz dezidiert.
    Sie standen auf und gingen zur Uferstraße, die nicht weit entfernt war. Sascha kaufte Dosenbier, sie tranken und blödelten wieder ein wenig herum.
    Sascha sagte allerlei Unsinn über die Autos, die vorbeifuhren, über die Passanten, die vorbeigingen, über die Kinder, die Radfahrer, die Hunde – an allem war etwas Amüsantes zu entdecken.
    Am Amüsantesten waren die Kinder. Sascha schaute gerne die Jungen an. Manchmal erschreckte er die Mütter – er stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute in den Kinderwagen –, vielleicht dachten die Frauen, er habe den bösen Blick, dieser sonderbare Typ. Er aber schaute nur groß und lächelte.
    »Schau, was für ein Tierchen«, sagte Sascha über den eineinhalb Jahre alten Jungen, der neben der Mama her trippelte und in seiner kleinen Pfote ihren Finger hielt. Ein noch ganz unsinniges, sich hauptsächlich durch Glucksen verständigendes Kerlchen.
    »Nein, das ist ein Tierlein«, sagte Jana, lächelte, mit der Betonung auf dem »ei« – »ein Tierchen, das ist, wenn sie fünf, sechs Jahre alt sind, spitze Zähne haben, einen flinken Blick, ein wenig bekleckert, und wenn sie schon ein bisschen lügen und sogar frech sind.«
    »Ja, ja«, stimmte Sascha zu – das ist ein Tierlein. Ein kleines Tierchen – eine Pfote.
    Das Wasser im Fluss war schmutzig und sie warfen die Zigarettenstummel hinein – sie versuchten, weiter als der andere zu werfen. Jana gelang es nicht, und sie lächelte, und manchmal lachte sie ganz leise und ansteckend.
    Es wurde immer dunkler und vom Fluss her wehte ein unangenehmer Wind.
    »Wo übernachtest du?«, fragte Jana, und gab der leeren Bierdose mit der Kuppe ihres schwarzen Schuhs einen Schubs. Die Dose rollte davon, ihre dünne Hülle klirrte ein bisschen.
    »Im Bunker wahrscheinlich. Wo sonst?«
    »Ich gehe nach Hause. Ich habe gemeinsam mit einer Freundin eine Wohnung gemietet.«
    »Ist sie auch bei den ›Sojusniki‹?«
    »Nein«, sagte Jana, und lachte aus irgendeinem Grund nochmals.
    »Begleitest du mich? Und dann kehrst du zurück …« Jana schaute Sascha ernst an, einen Moment länger, als notwendig gewesen wäre. In ihrem Gesicht war nichts, das eine Antwort auf die Frage erwartete, sondern es drückte den Versuch aus, eine Entscheidung zu fällen oder zu bestätigen, was schon entschieden war.
    »Natürlich«, antwortet Sascha ohne nachzudenken und schaute Jana in die Augen.
    In solchen Momenten versuchte er nie, etwas zu entscheiden, nachzudenken, mit etwas zu rechnen – und er machte das, was natürlich war, was von allein passierte.
    In der Nähe der Metro holte sie der Regen ein, und sie beschleunigten ihren Schritt. Schon bei der Treppe wurde der Regen stärker, und es entstand eine Situation, in der sie ein paar Sekunden lang nicht durch das Gewimmel von Menschen kamen, die auch vor dem Regen in die Metro flohen. Und hier streckte Sascha seine Hand erstmals und ganz natürlich nach Janas Hand aus, zu ihrem schlanken Rücken – genauer, zur kurzen Jeansjacke, um Jana dabei zu helfen, den besten Weg zu finden, um so rasch wie möglich Schutz vor dem Regen zu finden und an den weniger eiligen und unbeholfenen Männern und Frauen vorbeizukommen, die wer weiß woher genommene Regenschirme zusammenfalteten oder die einfach gleichgültig und langsam dahintrieben.
    Und Jana ging dorthin, wohin sie Saschas Hand lenkte, sie ging voraus – denn nebeneinander zu gehen, war in dieser Menge unmöglich. Sascha berührte sie kaum, wollte aber ihre Hand nicht loslassen, obwohl es dafür schon keine Notwendigkeit mehr gab.
    Jana wurde ein wenig von ihm weggetrieben, sie wurde gleichsam von einem Strudel erfasst, und es fehlte nicht viel und ihre schlanke Figur, die dunklen, kurzen Haare und der elegante Hals wäre zwischen den fremden, unnützen Rücken, Händen und Köpfen verlorengegangen.
    Sie drehte sich um und ihre Augen blickten warm, aus ihnen war ein Versprechen zu lesen, dass alles gut würde, dass schon jetzt alles gut war – »zumindest haben wir uns vor dem Regen gerettet« –, und dann streckte ihm Jana, ohne Sascha anzuschauen, die Hand entgegen, damit er sie nahm, sich nicht verlor, und er nahm ihre kalten und dünnen, aber kräftigen Finger, und drückte sie fest.
    Eine Minute lang gingen sie nebeneinander,

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