Sankya
Rogow in der Küche. Der Tee dampfte: Ljoschka bereitete ihn in zwei Gläsern zu, schwarz und dick. Sascha kam aus dem Badezimmer mit einem Handtuch über den Schultern.
»Und ihr?«
»Wir fahren weiter. Durchs weite Russland«, grinste Rogow mit schiefem Gesicht. »Hier bei euch erwischen sie einen ganz leicht. Mir wurde gestern klar, dass sie auf euch hier recht gut aufpassen. Ich hoffe, es ist nicht überall so.«
»Und ich fahre in die Hauptstadt«, entschied sich Sascha plötzlich.
»Wozu das?«
»Ich möchte wissen, wie es dort ist. Wozu hier rumhängen, ohne wirklich etwas zu verstehen. Und überhaupt ist es dort leichter, unterzutauchen.«
Sascha freute sich über seinen plötzlichen Gedanken und packte rasch seine Sachen zusammen – er wollte die Mutter nicht treffen und ihr irgendetwas erklären müssen.
Ganz offenherzig sagte er das auch zu Rogow, der ihn darin unterstützte: »Richtig, hauen wir so schnell wie möglich ab. Wir schlafen in den Vorortzügen.«
Sie weckten Wenja, schlürften Tee, rauchten, Sascha kochte ihnen Würstchen – zum Mitnehmen, und sie eilten zum Bahnhof.
Im Sammeltaxi dösten sie, die Stirn am Glas, über den Schlaglöchern öffneten sie ihre übersäuerten, verschlafenen und entzündeten Augen – wir fahren, verdammt, wir fahren … wann kommen wir denn an …
»Hier haben wir gestern auf die Pauke gehauen?«, wunderte sich Wenja in der Nähe des Bahnhofs. »Ich erkenne es nicht wieder.«
In der Unterführung verabschiedeten sie sich, umarmten einander, und fuhren in unterschiedliche Richtungen.
Sascha schlief sich tatsächlich in der Elektritschka aus. Ganz regulär kaufte er sich eine Fahrkarte – so musste er nicht vor der Kontrolle weglaufen. Sei weckten ihn einmal auf und gingen weiter.
Er saß in der Ecke, jenseits von allem – jungen Knochen ist es egal, wo sie hingeworfen werden. Wie auch immer sie verstreut sind, ist es gut.
Klar, am Ende der stundenlangen Reise begann es in allen Eingeweiden leicht zu zittern. Überhaupt war ja die letzte Stunde bis Moskau immer bedrückend. Ganz besonders, wenn keine Zigaretten mehr da waren.
Aber es gab noch Zigaretten. Er überstand es.
»Schmeiß dich raus, da sind wir!«, sagte er zu sich selbst und schmiss sich raus. Er streckte sich zufrieden.
Die Hauptstadt ist gedrängt, voller Menschen und hektisch. Mit Menschen überfüllt, die sich gegenseitig unablässig anstoßen und dich dabei nicht einmal sehen.
Wenn du nirgendwo unterkommst, ist die Hauptstadt brutal. Die läufst den ganzen Tag umher und bemerkst nicht, wie sie, ein gieriges altes Weib, dich, den Müden, den Gleichgültigen, in ihr riesiges, mit Decken vollgestopftes Bett zerrt, dich herumwirft, das Innere nach außen kehrt – und zuletzt bist du doch allein, der Kopf schmerzt, der Teufel weiß wo du bist, mitten in der unendlichen Stadt, orientierungslos und leer. Und das Weib, stellt sich heraus, braucht dich gar nicht. »Was hat sie mit mir gemacht?«
In der Hauptstadt sind nur die ersten Minuten gut, wenn du aus dem Zug steigst oder aus der Elektritschka springst und in der Tasche eine Menge Rubel hast. Du kaufst damit irgendeinen nicht durchgebackenen Dreck, mit einer klebrigen Wurst, und eine Flasche Bier, stehst an einer Bahnhofstheke, wie irgendein Provinzler, der auf irgendetwas wartet … Alleine in der großen Stadt, jugendlich. Gut.
In der Metro gehst du zu den einfahrenden und zielstrebig wieder verschwindenden Zügen zu Fuß hinunter, du möchtest dich nicht unter die zugedröhnte Menge auf der Rolltreppe drängen – du gehst alleine über die Treppe, die sich nicht bewegt. Daran kann man den Hauptstädter immer vom Zugereisten unterscheiden. Die Menschen der Hauptstadt würden niemals zu Fuß gehen. Doch uns ist das egal, wir sind Wilde.
Die Metro wird von schönen Mädchen bevölkert, die darf man anschauen. Sie sind fast immer gleichgültig und stehen für Bekanntschaft nicht zur Verfügung. Sie spüren den Blick, zeigen es aber nicht. Sie drehen sich manchmal gereizt weg. Was ist los? Na ja – ich schaue einfach.
Und dieses Mal traf er eine, die er ein wenig genauer anschauen wollte. Sie saß gegenüber, lächelte zärtlich über irgendetwas, und ihre feuchten weißen Zähne und ihr greller Mund erregten ihn. Sie zog manchmal die Lider kurzsichtig zusammen, das fiel Sascha auf, weshalb man sich auch ungestraft für sie interessieren konnte. Doch es wirkte sofort unverschämt – als würde man heimlich spionieren.
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