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Sansibar Oder Der Letzte Grund

Sansibar Oder Der Letzte Grund

Titel: Sansibar Oder Der Letzte Grund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Andersch
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Blick.
    Kannst du sehen, daß das Licht erst ziemlich weit links auf die Insel trifft? fragte Knudsen.
    Ja, erwiderte Gregor. Du meinst, wir müssen in dem toten Winkel zwischen dem Turm und dem Punkt, wo der Lichtstrahl auftritt, die Insel überqueren?
    Richtig. Auf der Insel ist ein Wäldchen. Ich werde mit dem Boot auf der Höhe des linken Waldrandes liegen, da seid ihr auch noch durch die Bäume gegen die Sicht vom Turm gedeckt. Das hast du gut geplant, Genosse, sagte Gregor.
    Laß den Genossen weg! Knudsen knurrte es beinahe.
    Vom Mast her, an den er sich gelehnt hatte, sagte Gregor zu dem immer noch auf seiner Kiste sitzenden Knudsen: Laß uns doch so tun, als täten wir es für die Partei!
    Der Fischer nahm die Pfeife aus dem Mund und spie aus: Nö, sagte er, ich mach mir nichts mehr vor.
    Gregor überlegte, ob er das Thema weiterspinnen sollte. Es wäre besser, dachte er, jetzt nichts mehr zu fragen, nichts mehr zu reden. Die Aktion war eine Sache geworden, in der jeder Beteiligte nur noch für sich selbst handelte. Trotzdem konnte er nicht an sich halten.
    Warum tust du dann überhaupt mit? fragte er.
    Knudsen dachte: Weil ich kein toter Fisch sein will. Weil ich die Lust an der Liebe behalten will. Weil es sonst stinklangweilig wird. Aber er sagte nichts dergleichen. Er sagte vielmehr: Wie stehe ich denn vor dem Pfarrer da, wenn ich nicht mitmache? Im gleichen Augenblick wußte er, daß er eine Art Wahrheit ausgesprochen hatte. Der und sein Götze, fügte er erbittert hinzu. Aber wenn niemand sonst da ist, der ihm seinen Götzen rettet, muß ich es tun.
    Gregor nickte. Er nahm diese Erklärung an, obwohl er wußte, daß mit ihr nicht alles erklärt war, längst nicht alles. Und nun war noch der Punkt zu behandeln, der zwischen ihm selbst und Knudsen als Trennungszeichen stand. Das heiße Eisen. Er faßte es nicht sogleich an, sondern fragte erst noch: Sag mal, wie ist das mit der Bootsfahrt über das Haff, - kann das eigentlich gefährlich werden?
    Wenn er vermutet hatte, daß der Fischer bei dieser Frage verächtlich grinsen würde, so hatte er sich getäuscht. Es gibt ein Patrouillenboot der Zollpolizei, sagte Knudsen sachlich. Sie haben einen ziemlich starken Scheinwerfer. Wenn sie heute nicht auslaufen, haben wir Glück gehabt. Und wenn sie auslaufen und euch nicht sehen, haben wir noch mehr Glück gehabt. Übrigens können sie euch nicht auf dem Wasser stellen, weil sie mit ihrem Boot in der Fahrrinne bleiben müssen; dort, wo ihr rudert, ist es zu flach für sie. Aber sie würden natürlich zur Insel fahren und euch dort schnappen, wenn ihr auf Signale nicht antwortet.
    Das hört sich ziemlich unschön an, sagte Gregor. Ich denke an den Jungen. Gefährden wir ihn nicht zu sehr? Er hat doch schließlich mit der ganzen Sache nichts zu tun.
    Das Beiboot spielt die Hauptrolle, sagte Knudsen, deswegen brauchen wir den Jungen dazu. Haben wir schon jemals auf jemanden Rücksicht genommen, wenn wir etwas vorhatten? fragte er. Es geht gegen die Anderen, gab er sich selbst die Antwort, da gibt es keine Rücksicht. Er wird auch keine Rücksicht auf mich nehmen, dachte Gregor. Und dann sprach er das Finstere an, das zwischen ihnen stand, Knudsens Abneigung gegen ihn, Knudsens Haß gegen ihn als Verräter, die Antipathie zwischen zwei Abtrünnigen, die sich gegenseitig auf der Fahnenflucht ertappt hatten; das gemeinsame schlechte Gewissen, das sie trennte.
    Und wie komme ich wieder zurück von der Insel? fragte er. Mit dem Beiboot?
    Knudsen stand auf. Zum zweitenmal während ihrer Unterhaltung nahm er die Pfeife aus dem Mund.
    Nö, sagte er, das Beiboot muß ich bei mir haben, wenn ich zurückkomme. Das muß da liegenbleiben, wo es liegt. Die Lotseninsel ist keine richtige Insel, erklärte er, sie ist bloß eine lange Halbinsel. Du kannst zu Fuß zurückgehen.
    Die Härte, mit der Knudsen diesen letzten Satz aussprach, vernichtete den letzten Rest einer Hoffnung, die Gregor vielleicht noch nicht ganz in sich ausgelöscht hatte.
    Habe ich immer noch, dachte er, bis zu diesem Augenblick, angenommen, Knudsen würde sagen: Du kannst mitkommen? Es wäre eine Kleinigkeit für ihn, mich mitzunehmen; es würde das Risiko für ihn weder vergrößern noch vermindern. Aber er verweigert mir die Hilfe, weil er den Schritt nicht tun will, den Schritt vom gedachten Abfall zum getanen, von der Aufgabe zum Verrat. Er hat die Fahne heruntergeholt, aber er hat sie sorgfältig zusammengefaltet und in seinen Schrank gelegt, anstatt

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