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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Innenstadt zurück, fest entschlossen, lieber zurück nach München zu fahren, als bei Grigorij zu übernachten. Er hatte Mitleid mit ihm und hätte ihn durch seine Anwesenheit vielleicht in einen noch schlimmeren Zustand versetzt.
    Als er wieder über die große Brücke lief und die für ihn völlig fremd gewordene Welt der Autos betrachtete, fiel ihm noch etwas ein. Wieso, sagte er sich, habe ich Grigorij eigentlich nicht nach der hiesigen Kirche gefragt? Wir hätten zum Protopopen Klein gehen sollen. Vielleicht wäre es besser gewesen, Grigorij dort wiederzusehen, stattmit ihm auf seinem Zimmer herumzusitzen wie früher. Aber vielleicht bleibt er der Gemeinde inzwischen fern. Er hat dieses Thema nicht angesprochen … und dabei war es früher doch fast die Grundlage unserer Bekanntschaft. Jetzt weiß ich übrigens auch, wohin ich als nächstes gehen werde.
Beim Erzpriester
    In der Alexander-Newski-Kapelle zelebrierte Erzpriester Klein gerade eine Messe. Es waren nicht mehr als drei Leute zugegen. Alexej hatte die Kapelle noch nie gesehen, aber einiges von ihr gehört. Sie machte einen sehr hellen Eindruck auf ihn an diesem sonnigen Tag. Alexej mochte dunkle Kirchen lieber. Er verglich liturgische Räume immer mit der Uspenskij-Kathedrale in Smolensk, die er, seitdem er als Jugendlicher dort gewesen war, für einen vollendeten, von langer Geschichte geprägten Andachtsraum hielt. Für Alexej lag das Wesen des orthodoxen Christentums nicht zuletzt in einem Sich-Versenken. Das Licht, die Dunkelheit, der Glanz und der Gesang, der sich immer wiederholte, waren Mittel dazu. Tolstoj schimpfte in seinem Roman Auferstehung sehr über diese Mittel und hielt sie für das Gegenteil dessen, was Jesus als das klare Wort Gottes verkörpere. Aber Tolstoj war Aufklärer, er war ein Utopist … er hielt den Vegetarismus am Ende seines Lebens für eine stärkere Idee als den christlich-orthodoxen Glauben. Überdies wollte er nichts in ein klareres Licht rücken, nein, da war sich Alexej sicher,Tolstoj wollte zum Schluß nur noch zerstören, wie ein Feldherr, der in eine Schlacht zieht, von der er weiß, daß sein Heer darin aufgerieben wird. Solche Leute sind entschlossen, keine Gefangenen mehr zu machen. Für Alexej hatte Tolstoj einen Teil der russischen Seele verraten.
    Alexej nahm an der Messe teil, später saß er mit dem Erzpriester auf einem Bänkchen neben der Kapelle im Schatten einer Ulme. Alexej kannte den alten Erzpriester von einer Begegnung in Wiesbaden vor einem Jahr. Der Erzpriester zeigte sich erstaunt, daß der blasse, gläubige junge Mann, den er vor einem Jahr kennengelernt hatte, sich jetzt mit großer Entschlossenheit und einer gewissen bereits herangereiften Selbstsicherheit dem Leben in Gott widmete. Das geschehe nicht oft, sagte er (beide redeten russisch). Es geschah bei Ihnen, entgegnete Alexej, und bei mir ist es auch geschehen. Der Erzpriester sagte, daß er Alexejs Mentor in Bad Homburg gut kenne, den Erzpriester Dimitrij. Er wisse, daß Dimitrij ihm weder abgeraten noch zugeraten habe, den Schritt in das mönchische Leben zu tun. Er habe öfter von diesem jungen Burschen aus Blagowestschensk gesprochen, der von einer auffälligen Gläubigkeit sei. Übrigens, so der Erzpriester auf der Bank, hat ihm deine Gesellschaft gefallen. Sie gefällt auch mir. Du hast etwas von denen, die Wahres glauben und einfach werden.
    Alexej sagte, er sei leider nicht einfach. Er strebe es an, aber das sei sehr schwer.
    Gott, sagte der alte Geistliche, schaut jedem auf den Grund.
    Alexej lachte freundlich. Ja, ich weiß, sagte er.Einfachheit verkleinert unsere Person. Das ist ganz unabdingbar, nur fällt es schwer, darüber zu reden. Es ist ein Gedanke, der eine eigene Erfahrung im Glauben voraussetzt. Ohne die Erfahrung ist er bloß ein Wortlaut, man kennt ihn, aber begreift ihn nicht, und führt ihn einfach so im Mund herum. Ich sehe das oft und habe es früher auch manchmal an mir beobachtet. Ich glaube, es gibt unter den Menschen eine Art zu sprechen, die von unseren Riten und täglichen Glaubenshandlungen abgelöst ist, für diese Menschen ist der Glaube nicht mehr als ein Gespräch, eine Unterhaltung. Man redet so dahin und benutzt die Begriffe achtlos. Viele tun das, vielleicht sind es sogar mehr als die, die wirklich glauben. Sie machen sich sogar oft einen eigenen Reim auf die Dinge, die sie gar nicht begriffen haben. Der Glaube braucht keine Worte. Das heißt, der Glaubende braucht keine Worte. Keine eigenen.
    Der

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