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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Mitglieder der Gemeinde gewirkt haben müsse. Er erklärte, daß er selbst, Grigorij, nie soeindeutige, mächtige Dinge wie Jesus behauptet habe und auch nirgendwo »so triumphal empfangen« worden sei wie Jesus Christus (diesen Gedanken fand Alexej besonders seltsam). Aus Grigorijs Worten sprach fast ein Haß gegen den jesuanischen Glauben, als halte er Jesus für anmaßend. Aber Grigorij merkte das offenbar nicht. Fünf Minuten später weinte er sogar, die Tränen kamen dem Bulgaren einfach so, mitten beim Sprechen, aber er sprach weiter über Jesus, ohne seine Tränen zu bemerken. Alexej wußte nicht, wen er vor sich hatte, einen verzweifelten Menschen oder jemanden, der sehr tief glaubte und deshalb die Form, in der Menschen hier und jetzt lebten, völlig außer acht ließ und daher wie ein Geisteskranker wirkte. Alexej wurde traurig und merkte, wie sich bei ihm ein gewisser Mißmut einstellte. Wahrscheinlich war Grigorij in einer nicht näher begreifbaren Form verkümmert. Er war hier in Potsdam womöglich so an ein Ende mit sich und allem gekommen, daß er einfach nur noch vor sich hin redete, nicht mehr auf einer sinnvollen Grundlage, sondern nur noch aufgrund des eigenen Leids.
    Irgendwann sprang Grigorij auf, legte seinen Schlüssel auf den winzigen, abgeschabten Tisch, der in der Mitte des Zimmers neben dem Bett stand, öffnete das Fenster und lief mit einem begeisterten Gesicht und fast glühend enthusiasmierten Augen aus dem Zimmer hinaus, augenscheinlich ohne jeden Grund. Dann stand er auf der Straße unter dem Fenster und rief hinauf, er gehe spazieren. Er gehe immer spazieren, er sei heute aber noch nicht spazierengegangen, er gehe täglich nach Sanssouci, einmal jeden Tag mindestens, wie jeder hier, er, Alexej, solles sich nur recht gemütlich bei ihm machen, aber nicht auf ihn warten, er freue sich sehr, ihn zu sehen, sehr, das sei … das sei großartig!
    Dann war Grigorij verschwunden, und Alexej stand allein in der Wohnung seines ehemaligen Wohnheimkollegen. Er war völlig ratlos, denn das hätte er am wenigsten erwartet. Es dauerte nicht lange, dann verließ auch er das Zimmer, denn er wollte keinen weiteren Blick auf Grigorijs Sachen werfen, er wollte das ganze Zimmer nicht mehr sehen. Er wollte nicht irgendwelche Dinge entdecken, sondern ein gutes Bild von Grigorij zurückbehalten, ein Bild ohne Tatsachen und Fakten. Nun ging er den Flur entlang in Richtung Etagenausgang. Linkerhand befand sich eine Küche, in der ein junger Mann saß und Kartoffeln schälte. Alexej trat ein und fragte, ob er ein Glas Leitungswasser haben könne. Der Mann zuckte mit den Schultern und sah Alexej nicht weiter an. Alexej nahm ein herumstehendes Glas, spülte es unter dem Hahn aus, füllte es mit kaltem Wasser und trank. Währenddessen fiel sein Blick auf ein Brett, an dem Zettel, Postkarten, Fotos und ähnliche Dinge angeheftet waren. Auf einem der Fotos war Heike abgebildet. Heike war auf dem Foto von hinten zu sehen, sie stand in einer bestimmten Weise da, trug einen sehr kurzen roten Rock, der wie zufällig ein wenig hochgerutscht war, und schaute lächelnd über ihre Schulter in die Kamera, als freue sie sich gerade über etwas und wolle den Betrachter auf eine völlig natürliche Weise verlocken. Das Bild war gestellt und hatte einen eindeutig erotischen Charakter. Alexej löste es vom Brett und fragte den Mann, der in derKüche herumsaß, ob er wisse, wem dieses Bild gehöre. Der Mann sagte, ohne aufzuschauen, er habe keine Ahnung. Alexej hielt ihm das Bild hin und fragte, ob er das Mädchen kenne. Der Mann verneinte, er kenne das Mädchen nicht, leider. Dann pfiff er. Gar nicht schlecht, sagte er und schaute Alexej an. Als er dessen Kleidung, Bart und Kappe erblickte, stand er unwillkürlich auf. Was wollen Sie denn, fragte er. Sind Sie ein Religiöser oder was? Alexej verließ wortlos den Raum, lief die Treppe nach unten und trat auf die Straße. Diesmal schaute er sich genauer um (auf dem Hinweg war er in Gedanken gewesen). Das Viertel befand sich auf der Babelsberger Seite, man blickte auf Hochhäuser. Das Haus, in dem Grigorij wohnte, war dreigeschossig und vielleicht fünfzig Jahre alt. Alexej lief an der Hauswand entlang und bemerkte neben der zweiten Eingangstür eine Tonne, in die eine zerlöcherte Regenrinne mündete. Die Tonne war zur Hälfte mit Wasser gefüllt, es stank, einige Taubenfedern trieben auf dem Wasser. Alexej dachte erneut an Kubain. Dann lief er über die große Brücke in die

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