Sanssouci
strich sie, isolierte Fenster und Garagentor und begann, Zug um Zug sein Leben in die Garage zu verlagern. Seit zwei Monaten schlief er in der Garage. Seinen Sohn hörte er nach wie vor, wenn auch gedämpft. In letzter Zeit hatte sich bei Ludwig Hofmann eine gewisse Willenlosigkeit eingestellt. Im Grunde wartete er nur noch, bis alles vorbei sein würde.
Mit den Jahren war Hofmann in Potsdam herumgekommen. Er hatte einige Zeit gebraucht, um zu akzeptieren, daß er für niemanden in Deutschland jemals der gewesene Dozent einer Hochschule sein würde, sondern immer nur eine Art Hilfsarbeiter oder Tagelöhner oder Penner. Einer, der in fremden Vorgärten herumsteht, raucht, sich auf seinen Spaten stützt und Arbeiten ausführt, die ein Deutscher nur dann ausführt, wenn es sich um sein Hobby handelt. Kein Mensch brauchte diese Vor- und Hintergärten, es wuchs nicht einmal Salat oder Gemüse darin, sondern Rhododendren, Azaleen, Rosen und eine Unzahl anderer Zierblumen. Mähen, gießen, schneiden, das waren Hofmanns Aufgaben. Das Einsetzen der Zierblumen für das nächste Jahr besorgten die Haus- und Gartenbesitzer immer selbst, das war ein heiliger Ritus. Vorher hatten sie die Pflanzen mit ihrem Auto in einer Großgärtnerei abgeholt oder bei einem Pflanzenversandhandel bestellt. Hofmann wußte inzwischen soviel über Pflanzen wie nie zuvor. Früher hatte er riesige Ölbohrer konstruiert.
Manchmal war Hofmann nahe daran, seinem Sohn das endgültige, finale Schweigen zu wünschen. Aber diesen Gedanken ließ er nicht zu. Lieber verhielt er sich, wie sich auch Alexejs Vater verhalten hatte: er rauchte massenhaft. Seit zwei Jahren litt er nun schon an Lungenkrebs, aber dieser hatte bislang lediglich dazu geführt, daß man ihm immer mal wieder Teile seiner Lunge entnahm und ihm Chemotherapien verordnete. Blödsinnigerweise ließ er die Chemotherapien sogar über sich ergehen (er wußte selbst nicht, warum). Aber eigentlich fühlte er sich mit der Krankheit genau wie sonst auch immer. Zwar zu Tode erschöpft, aber am Leben.
Irgendwann hatte Heiko Malkowski eine größere Rolle in seinem Leben zu spielen begonnen. Es hatte mit dem Malkowskischen Garten angefangen. Heiko Malkowski besaß eine alte Villa mit einem Garten von vielleicht vierhundert Quadratmetern. Dieser Garten war nicht völlig ungepflegt, unterschied sich aber von den Gärten mit den abgezirkelten Rabatten seiner sonstigen Kunden. Mit der Zeit hatte Hofmann erkannt, woran das lag. Malkowski bekam seinen Garten einfach nicht in den Griff, er war zu groß. Überhaupt lebte Malkowski mit dem Haus über seine Verhältnisse. Er hatte zwei Kinder, auf die er angeblich sehr stolz war, andererseits schien er sich recht wenig für sie zu interessieren. Nach außen liebte er es, wenn sie durch den Garten tobten, aber Hofmann ahnte nach einer Weile, daß da eine gewisse Ideologie dahintersteckte. Lieber hätte er sie nach Lust und Laune gemaßregelt, aber das hätte er niemals zugegeben.
Warum sich Malkowski eine solche Villa mit einem solchen Garten mitten in der Stadt leisten konnte, darüber dachte Hofmann nicht nach. Das gehörte für ihn zu den bundesrepublikanischen Rätseln. Malkowski war immer freundlich, zuvorkommend, nett und bemüht. Zugleich war er nie wirklich bei der Sache. Hofmann kannte das von gewissen Kommissaren in der Sowjetunion. Sie waren immer unglaublich freundlich gewesen, hatten ihn oft sehr freigebig eingeladen, und dennoch war immer etwas anderes im Spiel gewesen. Etwas, das jemand wie Ludwig Hofmann nur erahnen konnte.
Im Grunde wußte Hofmann, daß er für alle ein Idiot war. In der hiesigen Sprache konnte er sich bestenfalls auf Stammtischniveau äußern. Sprach er Russisch, dann führte er seine Gespräche entweder im Ton vollkommener Angekotztheit, oder er führte sie mit einem gewissen Trotz auch nur noch auf Stammtischniveau. So war er langsam, aber sicher in Deutschland angekommen. Sein früheres Leben war eine Chimäre. Omsk war weit weg. Omsk war eine Art von »es war einmal«, das man sich gönnte, wenn man trank. Er trank meistens allein in der Garage.
Auch Malkowski hielt ihn für eine Art Trottel. Bei aller Höflichkeit behandelte er ihn stets irgendwie herablassend. Einmal durfte Hofmann in Oststadt auftreten, er spielte einen Gärtner, der sich auf einen Spaten stützte und nur zwei Worte zu sagen hatte: »elle, elle«.
Hofmanns Vorfahren waren vor fünf Generationen aus dem Schwäbischen gekommen. Sie sagten, wenn sie
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