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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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oder blondgefärbten Haaren und Drinksin der Hand, Bierflaschen oder Gläsern oder Plastikbechern, denen er seine Tochter niemals gegeben hätte, die aber Mädchen in den Armen hielten, die seiner Tochter nicht unähnlich waren. Oder er traf das, wie man es nannte, Potsdamer Kulturpublikum. Das waren Leute, die jetzt, eine Stunde nach Mitternacht, aus dem Café Lewy oder der Badischen Weinstube herausgekrochen kamen, in Sakkos, manche mit bunten Schals, und sogar noch draußen auf der Straße im Kulissenlicht ihre Diskussionen weiterführten. Es fielen Worte wie Theater, Zeitung, Kulturdezernat. Dann gab es eine weitere Gruppe Jugendlicher … sie mochte Hofmann. Es waren kleine, zerrupfte Gestalten, die mit allem, was in der Stadt vorging, nichts zu tun haben wollten und nicht aussahen, als sei mit ihnen jemals noch ein Staat zu machen. Das war Hofmann sehr angenehm, um nicht zu sagen sympathisch. Auch hier hielten Jungen und Mädchen einander im Arm, aber sie unterschieden sich von den bereits erwähnten Jugendlichen mit den Halsketten und den blonden Haaren vollkommen. Die hier hatten etwas Wirkliches. Sie würden irgendwann wie Kippenreste in den Potsdamer Rinnsteinen herumliegen. In Omsk war es nicht anders gewesen.
    Schließlich die Penner. Bei ihnen betrübte Hofmann vor allem, daß sie nicht sehr zahlreich waren. Er schob das auf die städtischen Säuberungsmaßnahmen. Wenn sie in der Stadt anzutreffen waren, saßen sie meistens zusammen, als könnte das Schutz bieten. Aber dann erschien eine Streife, dann kamen noch weitere Polizeiautos dazu, und man verjagte die Penner schließlich doch, woraufsie sich zwei Straßen weiter wieder trafen (kosmetische Säuberung), nur an einem schlechteren, schmutzigeren und weniger beleuchteten Ort. Den Eingesessenen war es egal, am nächsten Morgen waren sie schon wieder am ursprünglichen Ort. Meistens saßen sie auf dem Luisenplatz. Heute traf Hofmann sie in der Lindenstraße.
    Manchmal wäre Hofmann am liebsten unter den Pennern gewesen. Es war eine resignative Sehnsucht. Allerdings war auch das vielleicht nur der Gedanke eines Menschen mit Stammtischniveau auf deutsch.
    So lief er durch das nächtliche Potsdam, das er ebenso gut studiert hatte wie das tägliche, nur daß es ihm angenehmer war.
    In der Brandenburger Straße, kurz vor dem Luisenplatz, sah er den Bulgaren Grigorij. Grigorij kannte er schon lange, obgleich er sich nie mit ihm unterhalten hatte. Er war unter den Ostaussiedlern in Potsdam vergleichsweise bekannt. Grigorij war ein gläubiger Narr, zugleich war er depressiv, verzweifelt und wahrscheinlich gemeingefährlich, vielleicht ein künftiger Amokläufer. Grigorij streunte immer durch die Straßen. Meistens blieb er alle fünfzig Meter stehen und schaute die Leute seltsam an. Auch das war ein Leben in Deutschland. Grigorij verließ gerade die Brandenburger Straße, überquerte den Platz, blieb eine Weile vor einem Zaun stehen (vielleicht ließ er Wasser, Hofmann wollte nicht so genau hinschauen), dann lief er zum Grünen Gitter. Idiot, dachte Hofmann, was willst du da? Willst du in den Park? Der Park ist jetzt zu! Wenn du über den Zaun klettern willst, dann mach das nicht am Grünen Gitter, du armerIrrer. Geh hinauf zur Weinbergstraße! Aber das wirst du schon wissen, Bulgare. Überhaupt, warum sehe ich dich immer nach Sanssouci laufen?
    Als Grigorij in die Straße bog, drehte er sich um, schaute nach links und rechts, betrachtete den ganzen Luisenplatz, dann rannte er plötzlich los und war in der Dunkelheit verschwunden. Vielleicht, dachte Ludwig Hofmann, hat er mich gesehen. Aber vielleicht hat er auch nur ein Gespenst gesehen.
    Hofmann lief weiter. Am südlichen Rand des Luisenplatzes fand er einen Kiosk, der noch geöffnet hatte. Zwei Männer standen davor und tranken Bier. Hofmann kaufte Zigaretten und setzte seinen Weg fort. Er war froh, wenn er rauchte. Irgendwie füllte es sein Inneres. Dieses Innere war ansonsten leer. Daß der Lungenkrebs nicht einmal zu fühlen war – anders als eine Zigarette –, enttäuschte ihn. Es war halb zwei.
    Für heute nacht hatte er einen Vorsatz. Malkowski war auf Filme aus. Es war an einer Hand abzuzählen, daß diese Filme etwas mit den Meurer-Zwillingen zu tun haben mußten. Aus dem ganzen Barongerede hatte sich ergeben, daß es neulich in dem Haus eine nächtliche Versammlung mit etwas eigenartigem Charakter gegeben hatte. Möglich, daß Malkowski daran teilgenommen hatte. Vielleicht glaubte sein

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