Sanssouci
erstaunt über die fast völlige Gleichheit ihrer Gesichtszüge, als handle es sich um eine männliche und eine weibliche Version desselben Wesens. Arnold war barfuß, Heikewar gekleidet wie immer. Sie musterte Mai von oben bis unten. Arnold grinste fröhlich und erzählte, sie seien spazieren gewesen, im Park. Heute sei alles voller Russen, offenbar seien massenhaft Reisegruppen angekommen. An der Windmühle stehe alles voller Busse. Nachher wollten sie mal in die Brandenburger Straße. Maja: Was war denn gestern bei der Kaufhauseröffnung los? Heike: Er hätte fast aufs Maul bekommen. Arnold: Quatsch, habe ich gar nicht. Es war überhaupt nicht gefährlich. Nils war auch dabei. Wir hatten einen Schutzengel, einen russischen Mönch, der zufällig vorbeikam. Es ist gar nichts passiert. Zu Mai: Der Bürgermeister war ebenfalls da, das war besonders interessant. Unser Bürgermeister ist nämlich sehr beliebt, die Potsdamer mögen ihn. Gestern abend ist er mit dem Kulturring Potsdam essen gegangen. Eine Organisation grauer Exzellenzen, die einen hiesigen Filmschaffenden verramschen wollen, indem sie ihn zum Stadthelden erklären. Heike: Es heißt Eminenzen, nicht Exzellenzen. Arnold grinste wieder. Du bist nicht von hier, oder? fragte er Mai. Maja: Christoph war früher mal eine Zeitlang in Potsdam. Er schreibt für Zeitungen. Mai: Filmkritiken, Festivalberichte, Hintergründe. Maja: Er hat viel mit Max Hornung zusammen gemacht. Aha, sagte Arnold. Er streckte ihm die Hand entgegen. Ich heiße Arnold, und das ist meine Schwester Heike. Mai gab ihnen die Hand und fragte, woher sie Max Hornung kannten. Ob sie auch als Statisten in der Serie mitgespielt hätten? Arnold: Max Hornung sei jener Filmschaffende, von dem sie eben gesprochen hätten. (Zu Heike:) Der Filmschaffende mit seinen grauen Exzellenzen. Heike:Nein, wir waren keine Statisten. Wir haben als Vorbilder gedient, wir sind sozusagen eine Erfindung von Max. Arnold: In Oststadt heißen wir Richter, Kai und Christine Richter. Wir müssen immer gewisse Dinge wieder hinbiegen. Mai: Was denn zum Beispiel? Heike (lachend): Wir bestrafen. Arnold: Wir machen es in der Serie so: Immer wenn das Drehbuch eine Figur, die böse gehandelt hat, bestrafen will, läßt es die Richter-Zwillinge auftauchen, entweder beide oder nur einen von uns … Heike: Von den Richtern … Max hat interessiert, daß wir Zwillinge sind. Er hat gesagt, so ein Paar wie uns beide, das heißt wie die Richters, gebe es im Fernsehen sonst nicht. Niemand weiß, woher wir kommen, und wir sind immer siebzehn, seit Anfang der Serie. Mai: Und wie straft ihr … also, wie strafen die Richters? Heike: Ganz einfach, wie im Märchen. Wir machen die Betreffenden in uns verliebt. Mai: Ihr macht sie in euch verliebt? Und dann?
Hierauf schauten sich Heike und Arnold in die Augen, lächelten zärtlich, nahmen sich bei der Hand und prusteten vor Lachen los.
Das Thema wurde gewechselt, und nach einer Weile verlief sich die Gruppe wieder. Maja ging zum Planungstreffen, die beiden Zwillinge verschwanden Richtung Brandenburger Straße.
Das Abendessen nahm Mai mit Alexej in einer kleinen Wirtschaft ein. Der Erzpriester hatte Alexej angetragen, eine Weile die Stelle seines Sekretärs einzunehmen, um ihm bei den liegengebliebenen Dingen im Büro zur Hand zu gehen. Klein hatte sich bereits mit Alexejs Kloster in Verbindung gesetzt, und Alexej hatte eingewilligt.
Später am Abend lief Mai zurück zu Hornungs Haus. Er arbeitete noch einige Zeit, legte sich anschließend erschöpft auf eine Matratze im ersten Stock und schlief fest, ohne zu bemerken, was im Haus vor sich ging.
Gegen zwei Uhr betrat der Russe Hofmann das Haus, verließ es aber sogleich wieder, als er den Schlafenden sah. Der alte Baron saß währenddessen im Garten neben der Hütte und beobachtete die Szene aufmerksam. Später erschienen auch die Zwillinge, legten sich in die Küche und wurden dort am nächsten Morgen von Mai gefunden. Sie lagen eng umschlungen auf dem Boden, als Mai in die Küche kam. Heike und ihr Bruder hatten Gesichter, als sei ihr Schlaf ein vollkommener Friede, wie im Paradies.
Zweites Buch
I
Noch ein Russe
Der Säugling schrie. Sascha machte es folgendermaßen (Ludwig Hofmann meinte, einen mehr oder minder exakten Schreirhythmus erkannt zu haben): Er schrie abends gegen sieben Uhr eine halbe Stunde ohne Unterlaß, da war Hofmann schon mit seinen Nerven am Ende. Dann verstummte Sascha und schlief tief und fest. Um neun Uhr legte er
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