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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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deutsch sprachen, nach wie vor »elle« für »alle«.
    Welche Bedeutung sein Auftritt mit »elle, elle« im Verlauf der Serie hatte, war Hofmann nicht erklärt worden. Er hatte zwanzig Euro bekommen. Das war nicht wenig Geld.
    Neuerdings ging Hofmann für Malkowski hin und wieder in die Gregoriusstraße. Das fand der Russe eher eigenartig. Zuerst wollte Malkowski, daß er dort eine Kamera hole. Er war in das Haus gegangen, hatte aber keine Kamera gefunden. Malkowski hatte ihm einigermaßen deutlich beschrieben, wo er sie suchen solle, »im Wohnzimmer, im Schrank«, aber in dem Raum, den man vielleicht hätte als Wohnzimmer bezeichnen können, stand kein Schrank, dort gab es nur Regale und viele Papiere.
    Später konzentrierte sich Malkowski auf Fotos und DVDs. In der Tat fand Ludwig Hofmann viele Fotos, die er alle seinem Auftraggeber brachte, allerdings nur, um sie in der folgenden Nacht wieder zurückzubringen. Überhaupt mußte immer alles in der folgenden Nacht zurückgebracht werden.
    Ja, das war natürlich seltsam: er sollte immer nachts hingehen. Malkowski formulierte das so: Er habe doch tagsüber immer so viel zu tun und auch noch abends in seinen Gärten, dann solle er doch einfach später hingehen, er könne gern auch noch nach Mitternacht dorthin.
    Irgendwann sagte sich Hofmann: Wenn ich meinen Auftraggeber zufriedenstellen möchte (Malkowski zahlte nicht schlecht, es gab fünfzig Euro pro Hausbesuch in der Gregoriusstraße), sollte ich beginnen, selbständig zu denken. Vielleicht konnte ich das ja einmal.
    Er begann daraufhin, das Leben des Herrn Heiko Malkowski etwas näher in Augenschein zu nehmen. Da er, wie gesagt, genügend herumkam, bereitete ihm das keine größere Mühe. Wenn man dem alten Baron Bier gab, sprach er viel, und aus Leuten, die viel sprachen, war Hofmann immer noch in der Lage, das herauszudestillieren, was wahrscheinlich der Fall war. Der Baron dichtete zwar stets viel hinzu, aber gewisse Motive blieben sich gleich. Man durfte zwar nichts wörtlich nehmen, aber wenn alles in eine gewisse Richtung ging, dann war das etwas und nicht nichts. Soviel wußte Hofmann noch.
Geisterstunde
    Nun war wieder einmal Nacht. Hofmann hatte sich von konkreten Vorgaben seines Auftraggebers inzwischen weitgehend gelöst. Malkowski war das recht, er hatte begriffen, daß er auf Hofmann zählen konnte (vorausgesetzt, er blieb verschwiegen – aber wem hätte er etwas erzählen sollen?).
    Hofmann hatte am Tag eine kleine Kundgebung auf dem Garnisonkirchenplatz miterlebt. Ihm gefiel diese Handvoll Leute. Hofmann dachte hier genau umgekehrt wie Alexejs Vater. Es handelte sich beim Wiederaufbau der Garnisonkirche um ein nationales Symbol. Für die meisten war nationale Größe etwas sehr Bedeutendes. Für Hofmann war das »elles blöd«. Überhaupt hatte Hofmann nie begriffen, warum die Leute in Deutschland immer noch etwas gegen Hitler hatten. Zwar nannten sieihn den größten Verbrecher überhaupt, aber Hofmann ahnte, daß das keiner mehr so recht glaubte.
    Zu Beginn des Abends hatte er mit seiner Frau und Anastasia in der Küche gesessen. Er hatte seine Suppe und seine Pelmeni gegessen, vor der Haustür einige Zigaretten geraucht und sich dort eine halbe Stunde mit seiner Tochter unterhalten, die sagenhafte Erfolge in der Schule feierte und völlig akzentfrei Deutsch sprach, ihren Angaben zufolge nicht einmal mit Brandenburger Akzent. Dann hatte Sascha seine zweite Schreiphase begonnen, und Hofmann war in die Garage gegangen. Dort trank er nicht, sondern löste ein Kreuzworträtsel in der Hörzu. Er löste diese Kreuzworträtsel stets mit einer gewissen Wut, aber es vertrieb ihm die Zeit.
    Gegen ein Uhr verließ er die Garage, rauchte, lauschte von der Straße aus seinem Sohn, sah seine Frau als Schatten hinter dem Fenster, wie sie sich um Sascha kümmerte, und ging Richtung Brandenburger Vorstadt. Die Straßen lagen dunkel, gelblich und kulissenhaft da, jeder Schatten zog sich meterweit in die Länge, es sah aus, als würde man Dostojewski bei moderner Nachtbeleuchtung in einem alten Stadtviertel verfilmen. Hofmann hatte Dostojewski früher verehrt, aber heute wie anderes auch, soweit es ging, aus seinem Gehirn und überhaupt aus seinem ganzen Dasein verbannt. Er wollte mit dem, was früher gewesen war, nichts mehr zu tun haben. Wofür war es gewesen, wenn es jetzt nicht mehr war?
    Hin und wieder begegneten ihm Gestalten, deutsche Gestalten. Junge Kerle in Jeans, mit T-Shirts und Halsketten, mit blonden

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