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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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wieder los, diesmal zwei Stunden. Er schrie ohne erkennbaren Grund. Hunger konnte er nicht haben, da er dauernd das Fläschchen bekam. Sascha war sehr gesund, aber er schien auch nicht aus Lebensfreude zu schreien. Er schien zu schreien, um Ludwig Hofmann zu quälen.
    Vor Mitternacht fiel Sascha Hofmann in einen totenähnlichen Schlaf. Menschen, die Sascha nicht kannten, hätten nun vielleicht geglaubt, das Kind habe sich vollkommen verausgabt und man sollte einen Arzt holen. Aber stundenlanges Schreien war für das Kind überhaupt nicht anstrengend. Wenn es nicht schrie oder aß, schlief es einfach wie ein Stein. Gegen ein Uhr fing Sascha von neuem an, und nun begann die eigentliche Zermürbungsphase. Hofmanns Frau Wanda schien das alles nichts auszumachen, obgleich sie kaum jünger war als er, ebenfalls schon Mitte Vierzig.
    Bei Anastasia war es vollkommen anders gewesen. Hofmann hatte sogar ihre Geburt im Krankenhaus erlebt. Zumindest hatte er sich in einem Raum aufhalten dürfen, der an den Kreißsaal grenzte (das war imKreiskrankenhaus in Omsk ein Sakrileg gewesen, er hatte viel Geld dafür bezahlt). Er hatte seine Tochter bereits während der Schwangerschaft seiner Frau abgöttisch geliebt. Ludwig Hofmann war nach der Hebamme der erste Mensch, der seine Tochter in den Armen gehalten hatte, er war damals wie von Sinnen gewesen. Die Stimme seines Töchterchens war sehr fein, schon der erste Schrei hatte so etwas Zartes, Beschützenswertes an sich, und auch später hatte Hofmann jeder kleine Schrei seiner Tochter fast zu Tränen gerührt. Er konnte sich gar nicht vorstellen, daß es so etwas wie Anastasia gab und daß sie tatsächlich da war und lebte, einfach so. Er kam von der Technischen Universität zurück, vergaß zu essen, verschob seine schriftlichen Arbeiten bis spät in die Nacht und war erst einmal nur bei seiner Tochter. Er hatte sogar seit ihrer Geburt aufgehört, Wodka zu trinken (mit dem Wodka hatte er erst vor einigen Jahren in Deutschland wieder angefangen). Noch heute war für Ludwig Hofmann seine Tochter das ganz besondere Wesen auf dieser Erde, sozusagen das Wesen, auf das er und alle und vielleicht sogar der liebe Gott immer gewartet hatten. Mit seinem sechzehn Jahre jüngeren Sohn (Sascha war sechs Monate alt) verhielt es sich leider völlig anders. Noch in der Garage hörte man ihn.
    Was ihre Wohnung anging, hatten die Hofmanns großes Glück gehabt. Nach der Übersiedlung hatte die Familie zunächst in einem einzigen Zimmer wohnen müssen. Als ehemaliger Dozent für Maschinenbauwesen an der Technischen Hochschule in Omsk hatte Ludwig Hofmann in Deutschland nicht reüssiert. Hierzulande warer eine Gartenhilfe auf Stundenbasis. Da Hofmann aber deutschsprachige Wurzeln hatte, hatte er sich vergleichsweise rasch an ein bestimmtes Sprachniveau gewöhnt. Er lehnte auf seinem Spaten, rauchte, sog tief ein und begann lange Ausführungen, wenngleich mit sehr beschränktem Wortschatz. (Die entscheidenden Sinnwendungen seiner Sätze verlagerte er manchmal ins rein Gestische …) Ludwig Hofmann wurde nicht zuletzt aufgrund seiner Sprachkenntnisse einige Monate nach seiner Ankunft in Deutschland (nicht er war die treibende Kraft für die Aussiedlung gewesen, sondern sein siebzigjähriger Vater, der allerdings kaum zwei Monate nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik gestorben war) Gartenhilfe bei einem Potsdamer Juristen in der Böcklinstraße. Hofmann hatte ein diesbezügliches Zeitungsinserat gelesen. Dieser Jurist besaß einen großen Garten hinter dem Haus und hatte langjährige Erfahrungen mit Ostaussiedlern. Er begann sich für Hofmanns Belange bei Ämtern, Sozialkassen und so weiter einzusetzen, ohne jede Honorarforderung. Hofmann hatte ihm viel zu verdanken. Der Jurist hatte für Hofmanns Familie eine vergleichsweise gute Wohnung in einem Dreifamilienhaus gefunden (vergleichsweise, weil es für den Juristen selbst natürlich unvorstellbar gewesen wäre, mit der Großmutter, der Frau und einer fast erwachsenen Tochter in einer Wohnung von fünfundsechzig Quadratmetern zu leben). Neben den Hofmanns wohnten im Haus noch eine weitere russische und eine ukrainische Familie, es gab einen kleinen Garten und die besagte Garage. Als Sohn Sascha geboren wurde, auf den Hofmann sich nicht gefreut hatte und bei demer sich nicht wirklich klar war, wie er eigentlich entstanden war (wie gesagt trank Ludwig Hofmann seit einiger Zeit wieder Wodka), nahm er die leerstehende Garage in Beschlag, mistete sie aus,

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