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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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endlich eine Schnullerfirma gefunden habe, deren Produkte ökologisch verträglich seien. Für Maike wie für Merle gehörte neben der Nahrungsmittelindustrie und der Autoindustrie und der Kleidungsindustrie und überhaupt allen Industrien auch die Schnullerindustrie ausgelöscht als das eigentlich Böse auf der Welt. Alle machten alles mit belasteten Materialien. Alle machten alles auf schädliche Weise und wußten es, das war das Wesen dieser ekelerregenden Welt bzw. Menschheit, gottseidank gab es Öko- und Dritte-Welt-Läden, aber warum gab esdiese Wahnsinnigen? Auch Maike hielt alle außerhalb des Gemeindezentrums, des Waldorfkindergartens, des Ökoladens und des Kotz für wahnsinnig. Obwohl die im Kotz Fleisch aßen. Eigentlich kamen die im Kotz nicht wirklich in Frage.
    Gegen halb eins verließ Merle Johansson das Zentrum. Auf der Straße rief sie Heiko Malkowski zurück. Er fragte, ob sie heute nach Sanssouci gehe und den Keller brauche. Sie sagte, sie sei vielleicht um drei da. Habe aber keine große Lust. Am Abend sei sie verabredet, da sei der Keller auf jeden Fall frei.
    Zu Heiko Malkowski hatte sie einen angenehm sachlichen Kontakt. Er gehörte nicht zu denen, die man erst einmal dorthin führen mußte, wo sie alle immer hinwollten, ohne es selbst zu kapieren.
    Daß die meisten Menschen gar nicht wußten, was sie wollten, war für Merle Johansson ein Rätsel. Man mußte die Menschen anleiten, dann entdeckten sie, wie sie sind. Und Merle Johansson war eine gute Anleiterin.
    Der Keller war dafür genau der richtige Ort. Malkowski hatte ihn erst vor einigen Wochen eingerichtet. Sie hatte keine Ahnung, wie er ihn entdeckt hatte. (Vorher hatten sie eine Wohnung in der Vorstadt genutzt.)
    Merle Johansson trödelte anschließend mit dem Fahrrad durch die Stadt. Ebertstraße, Gutenbergstraße. Es fiel ihr ein, daß sie nun doch etwas trinken sollte, aber statt dessen holte sie ein Brötchen aus der Tüte und aß es vor der Auslage der Lokalzeitung. Sie liebte Artikel über Töpferfeste, Handwerkertage und alternative Ausstellungen unter freiem Himmel mit dementsprechendem Publikum.Heute las sie sehr aufmerksam sämtliche Artikel über den Karstadt, der die lokale Presse seit der Eröffnung noch mehr beschäftigte als vorher.
    Ihrer Meinung nach gehörten alle diese Menschen, die Kaufhäuser bauten und mit Geld zu tun hatten, auf der Stelle hingerichtet und getötet (das war immer so ein diffuser Impuls bei ihr), dann fiel ihr ein, daß sie selbst schon am Tag der Eröffnung die Bio-Abteilung des Kaufhauses aufgesucht und dort eine Freundin und auch einen alten Beziehungspartner aus dem Buddhistenzentrum getroffen hatte.
    Am ersten Tag seien siebzehntausend Besucher bzw. Käufer durch die Pforte des Kaufhauses geschritten. Auf der Leserbriefseite waren Beschimpfungen gegen die orthodoxe Gemeinde zu finden. Die Leserbriefe bezogen sich auf eine während der Karstadteröffnung von einem Mönch gegebene Interviewaussage.
    Merle Johansson schob ihr Fahrrad weiter, denn sie hatte ihr Brötchen zu Ende gegessen.
    Später an diesem schönen, langen Tag, der aus lauter stehender Zeit bestand und gerade deshalb so angenehm war, besuchte sie ihren Sohn im Kindergarten, dann ging sie in den Park, spazierte umher, anschließend telefonierte sie und sagte den Termin für fünfzehn Uhr im Park ab, denn sie hatte heute keine Lust auf solche Sachen schon tagsüber. Überdies hatte sie immer noch nichts getrunken. Sie fuhr mit dem Fahrrad nach Hause, zog sich aus und nahm ein Glas Leitungswasser.
    Ein anderer Mensch als Merle Johansson wäre über dem vertrödelten Tag nun vielleicht müde und dösiggeworden. Wenn man an einem heißen Tag die ganze Zeit durch die Stadt schlendert, am frühen Nachmittag nach Hause kommt, die Vorhänge vorzieht und das Licht beobachtet, wie es gedämpft durch den roten Stoff ins Zimmer und auf die Gegenstände darin fällt, dann würden die meisten sicherlich alsbald in einen bleiernen Schlaf verfallen. Nicht so Merle Johansson. Für sie begann nun die eigentlich schöne Zeit des Tages.
Ein Tag im Leben Merle Johanssons (Fortsetzung)
    Merle Johansson sitzt im Schneidersitz am Küchentisch, schneidet mit einer langsamen Bewegung das zweite Brötchen aus der Tüte auf, trinkt etwas widerwillig einen kleinen Schluck Wasser, steht auf, geht zum Vorratsschrank, holt Hefepaste, setzt sich wieder im Schneidersitz auf den Stuhl, öffnet die Hefepaste, streicht sie aber noch nicht auf das Brötchen, sondern

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