Sanssouci
zerteilt zuerst noch das letzte Brötchen, so daß sie nun vier Brötchenhälften vor sich liegen hat. Dann geht sie ins Schlafzimmer und schaltet den Computer ein, um nach ihren Mails zu schauen. Eine ihrer Freundinnen hat gerade Probleme mit ihrem neuen Freund, das ist interessant, da kann Merle Johansson beratend zur Seite stehen. Ihr Freund hält sich zurück, und Merle berät sie, wie sie sich verhalten soll, denn solche Fragen findet sie spannend. Sie berichtet, wie sie es bei Lars gemacht habe … also daß es »zur Schwangerschaft gekommen ist und so«. Das findet die Freundin sehr interessant und beeindruckend.
Merle Johansson stöbert dann noch ein bißchen im Netz, schaut sich ihre favorisierten Seiten an, dann geht sie zu den Brötchenhälften zurück und beginnt sie langsam und bedächtig mit Hefepaste zu bestreichen. Später kocht sie Ingwertee, um mehr zu trinken. So sitzt sie eine Stunde am Tisch, verzehrt Bissen für Bissen mit ordentlichem, ordungsgemäßem, gründlichem Kauen erst die eine Hälfte, dann die zweite, einige Zeit danach ganz langsam die dritte und dann, schlußendlich, nachdem sie eine Weile ihre Beine, ihre Füße und alles andere studiert und zum Fenster hinausgeschaut hat, die vierte. Anschließend räumt sie die ganze Küche auf, obgleich kaum etwas aufzuräumen ist, denn da Merle Johansson jeden Tag das gleiche macht, fällt nicht viel Geschirr an, abgesehen von der Joghurtschale für Jesus vom Frühstück. Dennoch beschäftigt sie sich eine gute Viertelstunde mit der Küche, dann geht sie ins Bad, nimmt einen Stift und macht, während sie dasitzt, Kreuzworträtsel …
… Als sie das Kreuzworträtsel schließlich sinken läßt, schaut sie lächelnd vor sich hin, verfällt in ein Sinnieren und beginnt in zärtlichem Ton zu summen …
Merle Johansson summte immer, wenn sie im Badezimmer saß und mehrere Dinge gleichzeitig tat. Meistens summte sie Es rauschet die Mühle am klappernden Bach . Es kam ihr einfach jedesmal in den Sinn, und Merle Johansson tat ohnehin immer, was ihr gerade in den Sinn kam. Es war das, was sie mochte: Sie konnte immer tun und lassen, was sie wollte. Niemand zwang sie zu etwas. Alles kam wie von allein.
Anschließend zog sie sich an und holte Jesus aus demKindergarten. Am Abend war sie mit Lars Berlow verabredet. Das konnte man entweder mit Jesus machen oder ohne. Lars Berlow mochte Jesus, aber Lars befand sich gerade in einer schwierigen Phase, und sie wollte den Abend lieber mit ihm allein verbringen.
Heute war Jesus ausnehmend guter Laune. Er hatte zusammen mit drei anderen Kindern gespielt, ohne wie üblich in Streit zu geraten. Bei Streit zog er immer den kürzeren. Jesus gehörte zu den Kindern, die in einem unbemerkten Moment blitzschnell zuschlugen oder etwas zertrümmerten. Anschließend schaute er immer etwas desorientiert und lächelte. Schließlich wurde er selbst geschlagen und heulte. Meistens saß er, auf diese Weise seit den Vormittagsstunden isoliert, in einem Winkel des Kindergartens und wimmerte nach seiner Mama. Heute aber war alles glücklich verlaufen. Sie hatten unter Anleitung eine Sandkastenburg gebaut, mit Tor und Brücke, hatten einen kleinen Graben um die Burg gezogen und versucht, ihn mit Wasser zu füllen, wobei sie die Burg fast wieder weggeschwemmt hätten. Jesus hatte vier bunte Steine von zu Hause mitgenommen, das waren nun die Burgbewohner, und während die Kinder glücklich spielten, hockte sich Merle Johansson daneben und schaute eine Weile zu. Jesus versuchte zu erzählen, was sie gemacht und gespielt hätten und was überhaupt so vorgefallen sei, scheiterte aber damit, denn es kam nur ein Lallen aus seinem Mund. Seine Mutter gab zu erkennen, daß sie alles verstehe, obgleich sie natürlich kein Wort verstand und sich auch nicht dafür interessierte. Sie betrachtete Jesus, er war ein schönes Kind. Und jetzt bekam sie das zweite.Sie malte sich schon alles genau aus, besonders die Stunden im Geburtshaus. Das Geburtshaus war für sie das Zentrum der Welt, ein Ort der Eigentlichkeit. Dort galt das ewige Gesetz. Dieses Gesetz war das einzige, alles andere leitete sich aus ihm ab. Und jetzt, sagte sie sich, ist mein Kind schon dreieinhalb und ist gesund und rein und spielt gerade neben mir hier im Garten des Kindergartens. Jesus mußte Pipi machen, und die Mutter ging wie immer mit. Heute hatte sie ihm keine Windel angezogen, aber im Spind lag ja noch eine Ersatzhose.
Dann fuhr sie mit Jesus in die Stadt und kam am
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