Sanssouci
Karstadt vorbei. Man hörte die Klänge einer Modenschau. Merle schloß das Fahrrad ab, holte den Klappkinderwagen aus dem Korb, setzte ihren Sohn hinein und schob ihn ins Kaufhaus. In der Mitte des Erdgeschosses war ein kurzer Laufsteg aufgebaut. Merle Johansson kniete sich neben ihren Sohn und erklärte ihm all die Dinge, die man sah. Jesus begeisterte sich vordringlich für Schußwaffen jedweder Art. Wenn er eine Spielzeugpistole sah, rief er töten! töten!
Anschließend fuhr sie zum Ökoladen (an manchen Tagen betrat ihn Merle Johansson drei- oder viermal, man traf immer Bekannte), Merle stand dort wie meistens, wenn sie etwas kaufen wollte, minutenlang herum, musterte die Auslagen, brauchte dann noch eine Weile, bis sie sich zum Kauf eines Bunds Möhren und eines Gläschens Hefeextrakt entschließen konnte, und stellte sich in die Kassenschlange, während Jesus vor dem Regal mit der Ersatzwurst stand und wieder begeistert töten, töten rief. Anschließend mußte er sofort Pipi machen.
(Neulich hatte er bei den Großeltern auf den Kruzifixus über der Küchenuhr gewiesen und dabei vor Begeisterung essen! essen! geschrien … Jesus Johansson hatte den toten Christus für das verbotene Fleisch gehalten.)
Merle erledigte auch noch ein paar andere Einkäufe. Alle diese Einkäufe waren von langer Hand geplant, im Gewürzladen etwa kaufte sie eine bestimmte Curryart für ein Reisgericht, das sie vielleicht irgendwann einmal in ein oder zwei Wochen zubereiten würde. Wenn sie einen Einfall wie diesen hatte, nämlich ein bestimmtes Reisgericht zu machen, dann war sie immer glücklich, weil sie dann plötzlich gewisse Dinge vor sich sah: man konnte dann im Vorratsschrank nachschauen, ob noch Reis da war, und wenn keiner mehr da war, konnte man ihn kaufen, und dafür konnte man dann in die Stadt fahren und einen Laden aufsuchen. Und so konnte man sich immer mal wieder, über Tage, damit beschäftigen, dies und das zu tun, um dieses bestimmte Reisgericht irgendwann auch tatsächlich zu kochen, und überdies konnte man im Gemeindezentrum dann über das Rezept und wie man es zubereitet und wie es funktioniert und wo man die Zutaten bekommt und so weiter sprechen.
Schließlich brachte Merle Jesus zu einer Strickfreundin, ließ ihn eine halbe Stunde bei ihr und suchte den Sexshop auf. Den Sexshop betrat sie immer mit einer gewissen Vorsicht.
Heute hatte sie ein bestimmtes Anliegen, sie brauchte neue Handschellen für zu Hause. Sie ließ sich lange beraten und erkundigte sich nach verschiedenen Details. Merle war während des Gesprächs ein bißchen verschämt undgenoß den Kauf gerade deshalb. Dieses Verschämtsein gefiel ihr, es machte geradezu den Reiz der Kaufsituation aus, allerdings brauchte sie die Handschellen wirklich, denn die alten waren hinüber, und Festbinden war in gewissen Situationen nicht so schön wie Handschellen.
Sie verstaute die Handschellen in ihrem Einkaufsbeutel, blätterte einige Magazine durch (am liebsten waren ihr solche mit Frauen, die gemeinsam Dinge taten) und konnte ein Lächeln nicht verhindern, ein abgründiges Lächeln, das demjenigen Gesichtsausdruck, den nie jemand bei ihr würde sehen dürfen, nicht unähnlich war. Dann verließ sie den Laden, holte Jesus von ihrer Strickfreundin ab und fuhr ins Neubaugebiet von Eiche zu ihren Eltern. Sie fuhr auf dem Postfahrrad, kam durch den Wald, nahm die Hauptstraße und fand, daß sie ein schönes Bild abgab: sie mit ihrem Kind auf dem alten Postfahrrad. So hatte sie immer sein wollen.
Ein Tag im Leben Merle Johanssons (Ende)
Jesus blieb bei den Großeltern, und für Merle begann der abschließende Teil des Tages.
Sie sollte Lars heute das Restaurant in der Alexandrowka zeigen, um acht Uhr waren sie verabredet. Es war jetzt gegen sechs. Merle Johansson beschäftigte sich mit der Vorbereitung des Abends. Es konnte sein, daß sie nachher noch in der Küche sitzen würden, wenn Lars ein Glas Wein trinken wollte. Also ordnete sie zuerst den Küchentisch. Sie nahm eine rote Serviette, faltete sie auseinander,legte sie auf den Tisch und stellte eine Kerze darauf. Anschließend schaute sie in den Kühlschrank. Dort stand eine Flasche Sekt. Sie hatte den Sekt extra für Lars gekauft. Rotkäppchen trocken. Mit Sekt konnte man einiges machen. Lars mochte das in letzter Zeit sehr. Dann nahm sie den Besen und fegte den Boden.
Anschließend ging sie ins Zimmer von Jesus, um dort Ordnung zu machen. Es war noch alles vom Morgen unaufgeräumt. Bevor sie
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