Sanssouci
hm und maß den jungen Mann von oben bis unten, während Wenk begann, unruhig von einem Fuß auf den anderen zu treten. Er wollte endlich seinen Weg zum Rathaus fortsetzen.
Overbeck aber stand mit der neugewonnenen Schar von Verehrerinnen da und hatte es nicht eilig. Die Mädchen zeigten ein merkliches Interesse an ihm. Schließlich ermunterte er sie sogar, sich ihnen anzuschließen und zum Rathaus mitzukommen. Er werde mit Sicherheit Mittel und Wege finden, den kulturell interessierten Nachwuchs Potsdams in den Saal zu bringen. Außerdem gebe es bessere Bilder im Fernsehen, wenn junge Leute da seien und nicht nur ältere.
Nicht nur so alte Knacker wie Eisenmann, rief Pöhland. Eisenmann sei ein alter Knacker! Aber sympathisch! Klar komme er ins Rathaus mit, das wird super! Los, gehen wir alle ins Rathaus! Was ist denn überhaupt los im Rathaus? Ist es wegen der Garnisonkirche? Er lachte wieder.
Mann, Pöhland, echt, du redest wieder eine Scheiße heute, wiederholte Lee.
Die Gruppe um Heike und Overbeck, nun um die drei Mädchen und Pöhland erweitert, brach auf, um ihren Weg in die Ebertstraße fortzusetzen. So hatte Wenk sich die Ankunft im Rathaus freilich nicht vorgestellt. Sein Plan, allein mit Overbeck und Dr. Mai zu erscheinen, warmißlungen. Jetzt hatten sie diese Jugendlichen am Hals. Er fühlte eine Blamage nahen.
Mähähä, lachte Pöhland, als ein Polizeiwagen vorbeifuhr. Overbeck winkte den Polizeiwagen weiter. Die Polizisten schüttelten den Kopf. So kam die ungleiche Gruppe in die Ebertstraße und traf vor dem Rathaus eine größere Menschenmenge an. Die Sonne stand bereits hoch und brannte, einige Herren hatten ihre Sakkos ausgezogen, andere waren in kurzen Hosen und Sandalen erschienen. Auch Oberbürgermeister Friedrichsen hatte sich vor Eröffnung des Treffens in die Menge gemischt. Es sah fast aus wie eine Sonntagsgemeinde wenige Minuten vor dem Gottesdienst. Statt einer Kirche erhob sich hinter ihnen jedoch die große, alte Rathausfassade.
Als Christoph Mai den Vorplatz des Rathauses betrat, erkannte er einige Gesichter wieder, mit denen er vor Jahren zusammengearbeitet hatte. Andere hatte er noch nie gesehen. Es schien, als sei er erwartet worden, denn es kamen mehrere Leute auf ihn zu. Vorgestellt wurden ihm unter anderem: Dr. Dorothee Kupski, die Kulturdezernentin (SPD), eine schlanke, mittelgroße, spröde wirkende Frau Mitte Vierzig. Sie war vor drei Jahren noch nicht im Amt gewesen und musterte Mai vorsichtig. Dann: Michael Schwarz, Dramaturg am Potsdamer Theater, ein kleiner Mann mit tiefer Baßstimme, viereckiger Brille und Kinnbart. Herr Meckel, Kulturamtsleiter, Herr Streubel, Magistratsvorsitzender, andere Damen und Herren, alle in irgendwelchen Funktionen, die sich Mai anhörte, ohne sie sich im einzelnen merken zu können. Er stand dort einige Minuten herum und übte sich wie alle anderen inKonversation. Schwarz sprach mit Wenks Viertelsekretärin über den Theateretat, andere unterhielten sich über die Uferpromenade am Heiligen See, das neue Kaufhaus oder weitere derzeitige Themen in der Stadt.
Overbeck stand der Mädchengruppe vor wie ein Schäfer seinen Schäfchen. Er lächelte ihnen immer wieder freundlich zu und richtete öfter das Wort an sie: daß die Sitzung dort in diesem Haus stattfinden werde; daß das hier der Magistratsvorsitzende Streubel sei; daß man drinnen vielleicht auch Limonade bekommen könne, und so weiter. Sind das alles deine Kinder, fragte Streubel. Overbeck reagierte darauf etwas indigniert.
Drinnen stieg man über Treppen, durchlief Gänge, und endlich erreichte man den Saal. Als der größte Teil der Gäste Platz genommen hatte, konnte man sich einen Überblick über die Teilnehmerzahl verschaffen. Zur Überraschung des Bürgermeisters faßte der Saal die Besucher kaum. Kulturamtsleiter Meckel, Magistratsvorsitzender Streubel und der OB gingen nach vorn. An der Stirnseite des mit mächtigem Stuck überzogenen Prachtsaals standen zwei Konferenztische. Das Volk lief um die Tische herum, um zum anderen Ende des Raums zu gelangen, wo noch Stühle frei waren. Aus irgendwelchen Gründen marschierte Pöhland, kaum hatte er den Saal betreten, ebenfalls nach vorn zu den Tischen und blieb eine Weile direkt neben Meckel und dem Magistratsvorsitzenden stehen. Von dort lächelte er demonstrativ den Mädchen zu, die weiter hinten im Raum blieben. Vorn kamen die Honoratioren und die Presse zu sitzen, dahinter das mittelständische, interessierte Kulturpublikum,
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