Sanssouci
auch Wenknahm dort Platz, ebenso wie Overbeck. An seiner Seite saß Wenks Sekretärin, hinter ihm saßen die Mädchen. Heike, Lee und Aische steckten die Köpfe zusammen und lachten sich halbtot über den Schauspieler.
In den hinteren Reihen trug sich etwas Unerwartetes zu. Der Besucherstrom, der sich durch die doppelflügelige Tür hineinpreßte, riß nicht ab, so daß es immer enger wurde. Man mußte zur Kenntnis nehmen, daß, obgleich diese Veranstaltung nur für geladene Gäste gedacht war, immer mehr Öffentlichkeit in den Saal kam. Auch Kotzleute waren da. Unten hatten sie Plakate an die Fassade des Rathauses geklebt, waren aber wenige Minuten später von den Ordnungskräften überredet worden, sie wieder zu entfernen.
Erzpriester Klein erschien mit Frau. Er war der einzige Kirchenvertreter im Saal. Klein hatte seit der Eröffnung des Kaufhauses mit Anfeindungen zu kämpfen, es war zu einigen Schwierigkeiten für die orthodoxe Gemeinde gekommen. Vorgestern war ein Stein gegen ein Fenster seines Hauses geflogen. Friedrichsen hatte Klein persönlich eingeladen, um ihm seine Unterstützung zu zeigen, und ließ sich noch vor den Eröffnungsworten im herzlichen Gespräch mit Klein von beiden Potsdamer Zeitungen ablichten.
Die hinteren Reihen waren längst besetzt, viele Leute standen an der rückwärtigen Wand, und Malkowski hatte sich mit seinem Kameramann in die linke hintere Ecke postiert, dem Ausgang gegenüber. Es dauerte einige Zeit, bis Meckel für Ruhe im Saal gesorgt hatte. Bei den Veranstaltern machte sich eine spürbare Nervosität breit.
Verschiedene Stimmungen sind bei solchen Zusammenkünften denkbar. Man erwartet von dem Geschehen im Saal, daß es einen unterhält oder interessiert. Vielleicht kommt man, um andere zu treffen. Oder man wünscht sich einfach, daß etwas möglichst Unvorhergesehenes passiert, ein Zwischenfall, vielleicht sogar etwas Unerhörtes und am Ende gar ein richtiger Skandal. Gerade die alteingesessenen Potsdamer gingen fast notwendigerweise von letzterem aus. Hornung wurde in der Stadt zu unterschiedlich bewertet, als daß es nicht zu Streitereien kommen mußte. Im Grunde erwartete man von dem heutigen Tag, daß die ganze Hornungsache binnen einer Stunde mit großem Getöse an die Wand gefahren würde.
Die Kotzleute in den hinteren Reihen schienen den Unmut der Umsitzenden auf sich zu ziehen, obgleich sie sich nicht lauter verhielten als alle anderen im Saal. Meckel war immer noch dabei, die Unruhe im Saal einzudämmen, und als der Geräuschpegel ein akzeptables Maß erreicht hatte, begann Meckel mit seinem Grußwort und einem Einführungsreferat.
Da Hornung das Kulturamt von Anfang an vor den Kopf gestoßen und sämtliche Gelder auftragsfremd verwendet hatte, war Meckel bemüht, ein Loblied auf die künstlerische und, wie er sagte, eigentlich geniale Eigenständigkeit Hornungs zu singen. Eine Eigenständigkeit, die den Horizont des Magistrats damals, als man Hornung in die Stadt geholt hatte, so meilenweit transzendiert habe, daß daraus völlig unerwartet ein Markenzeichen für die Stadt geworden sei, mehr noch, ein Identifikationsbild, eine künstlerische Synthese. Ein Wort, in demPotsdam für diese Generation und auch für die nachfolgenden immer werde erkennbar sein: Oststadt!
Bravo, riefen einige. Andere klatschten. Auch Overbeck klatschte. Er hatte einige Schlaatzbewohner im Saal entdeckt, die in einer Gruppe etwas weiter hinten, nicht weit von ihm, zusammensaßen und zu ihm herüberschauten. Overbeck sah, daß sie T-Shirts mit Oststadt-Zitaten trugen. Meckel fuhr mit seinem Referat, durch den Applaus ermuntert, schwungvoller fort.
Hornung, und das sei seine Leistung, habe sie (das Amt, das Umfeld, die Juroren) über die falschen und üblicherweise naiven Vorstellungen von Kulturarbeit aufgeklärt, denn freilich, und das sei ein Glück, habe Hornung nie dem Anforderungsprofil entsprochen, das das Kulturamt damals in seiner Gutgläubigkeit, um nicht zu sagen Kleingläubigkeit, vom kulturellen Auftrag in dieser Stadt entworfen habe. Und so habe man sich gottseidank von den Vorstellungen lösen dürfen, die man sich am Anfang in dieser Stadt hier gemacht habe. Meine lieben Damen und Herren, sagte Meckel, stellen wir uns doch einmal vor, Hornung hätte gemacht, was wir uns so ausdenken in unserer Amtsschimmelmentalität. Es wäre doch überaus langweilig gewesen, wie wir heute alle sagen müssen.
Dafür lassen wir uns mit Dreck bewerfen, rief jemand.
Meckel
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