Sanssouci
manch einem trieben sie allerdings auch Scham und Schweiß ins Gesicht. Für viele entsprach das, was sie hier gerade erlebten, ihren Erwartungen. Es erhoben sich allerdings auch andere Stimmen, die völlig unerwartet waren.
Heiße man, rief jemand (wer es rief, war nichtauszumachen), neuerdings Prostitution von Minderjährigen gut?
Protegiere die Stadt solche Dinge?
Wir wollen wissen, was Hornung wirklich für einer war!
Das stieß auf allgemeine Verwunderung. Hier und da wurde sogleich die Frage laut, was denn der Magistrat bzw. Hornung oder wer auch immer mit Prostitution und mit Minderjährigen zu tun habe. Viele lachten, die meisten äußerten, man müsse da etwas mißverstanden haben, einige aber forderten sofortige Aufklärung, und all das geschah so rasch, daß Meckel vorn an seinem Tisch gar nicht begriff, was gerade erörtert wurde. Er dachte fieberhaft nach. Ihm war unverständlich, wieso das Wort Prostitution im Saal zu hören war.
Finger und Hände wiesen jetzt, keiner wußte, warum, auf das junge, dürre Mädchen, das hinter dem Schauspieler Overbeck saß und den Leuten dreist ins Gesicht schaute. Die da, ist es die da? tuschelte man. Die in den schwarzen Fetzen da? Die habe ich schon einmal gesehen. Hornung, was soll das eigentlich für ein Name sein? Ich war einmal in Hessen, da hieß ein Fuhrunternehmer Hornung. Ist er der Erbe eines Fuhrunternehmers? Ein Saubermann, ein Saubermann der ganz spezifischen Sorte. So hört doch auf, nichts ist bewiesen! Wenn man alles erst beweisen müßte, säßen wir noch auf den Bäumen! Wer sitzt auf den Bäumen? Wir! Das hat dieser Westdeutsche gesagt? Seht, er hielt uns nämlich alle für Affen, und da hatte er auch ganz recht, schaut euch bloß an …
Nach einer Minute herrschte wieder Ruhe. Malkowskistand nach wie vor in seiner Ecke und filmte. Hofmann betrachtete seinen Gartenchef von der Wand aus. Bestimmt hatte er, dachte Hofmann, die kleine Meurer jetzt groß im Kasten. Auch eine Form der Materialsammlung. Und morgen zerfetzen sie sich an allen Stammtischen Potsdams die Mäuler über das Mädchen.
Die Erregung legte sich so schnell, wie sie entstanden war. Es blieb nur Verdutztheit zurück. Allerdings konnten viele Saalbesucher in den folgenden Minuten nicht unterlassen, das Mädchen anzusehen, das trotzig auf seinem Platz saß. Was tat sie hier? Sie mußte wohl eine besondere Verbindung zu Hornung haben, denn sonst hätte sie sich nicht diesem öffentlichen Skandal ausgesetzt. Man wußte zwar weiter nichts, konnte aber aus alldem schließen, daß die Anwesenheit des Mädchens im Saal eine Provokation war. Die Frauen verzogen ihre Gesichter, die Männer blickten sehr interessiert zu dem auffallend knapp bekleideten Mädchen hinüber. Frau Kulturdezernentin Kupski betrachtete von ihrer Warte aus nachdenklich die ihr unbekannte Heike und malte sich mit einer gewissen Erregung aus, wie sie das Gespräch mit dem jungen Ding suchen und ihr einen Ausweg aus der Misere, in die sie da offenbar hineingeraten war, weisen werde. Andere wiederum erkannten in Heike das Mädchen, das bei dem Vorfall vor dem Karstadt beteiligt gewesen war, als der Bürgermeister unversehens von zwei Jugendlichen beschimpft worden war, ohne daß man die näheren Umstände je geklärt hatte.
Nun folgte die Rede des Magistratsvorsitzenden. Streubel glättete die Wogen durch ein ausgesucht langweiligesReferat über Etatzahlen. Er rechnete vor, was Hornung die Stadt gekostet hatte, welchen Etat die Jurorenrunde verschlungen hatte, mit welchen Kosten die Ausschreibung verbunden war, welchen finanziellen Aufwand die notwendigen Sitzungen verursacht hatten, kurz, er faßte die ganze Ansammlung von Verwaltungsakten zusammen, die Hornungs Kommen vorangegangen waren, und summierte deren Kosten. Er wollte der Öffentlichkeit damit veranschaulichen, wie sehr sich die Stadt für das gute Projekt ins Zeug gelegt habe und wie wichtig ihr Hornung gewesen sei. Aus ihm sprach der reine Verwaltungsbeamte. Kaum jemand hörte ihm zu, und wer zuhörte, bekam die Zahlen in den falschen Hals. Die meisten glaubten von diesem Augenblick an, alles Geld sei an Hornung geflossen. Einen ganzen Etatposten habe man dem Westdeutschen an die Hand gegeben. Und nun saß dieses Mädchen triumphal im Publikum, halbnackt, als Konsequenz aus alldem. Nicht wenige glaubten, sich in einer Oststadtfolge zu befinden.
OB Friedrichsen hatte von den Anwürfen aus den hinteren Reihen nicht alles mitbekommen, es war ihm jedoch
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