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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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achtete, bog er einmal in die falsche Straße und stand unvermittelt vor dem Neuen Garten. Alexej lief durch den Park, betrachtete die Häuser der Reichen am gegenüberliegenden Ufer, verweilte mit dem Blick auf den Spaziergängern, grüßte höflich, wenn er jemandem aus der Gemeinde begegnete, und kam schließlich zum Gotischen Pavillon am Südrand des kleinen Sees. Dort sah er drei Jugendliche auf der Mauer sitzen, die ihre Füße ins Wasser baumeln ließen. Hinter ihnen lagen Fahrräder. Einer von den Jungs war Arnold, die anderen kannte Alexej nicht. Alles sah völlig gewöhnlich aus. Arnold winkte begeistert, sprang auf, lief zu ihm hin und grüßte ihn sehr freundlich. Sie wollten an den See und dort denganzen Tag bleiben, erzählte er. Alexej nickte, nach einem kurzen Gespräch lief er weiter.
    Auf der großen Brücke, die Alexej wie am Anfang seines Potsdamaufenthalts überquerte, stieß er auf Grigorij, der am Scheitel der Brücke stand und nach unten schaute. Längere Zeit bemerkte er Alexej nicht. Grigorij stand auf seltsame Weise da, er hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt und beugte sich über die Brüstung. Es sah aus, als betrachte er etwas dort unten mit großer Aufmerksamkeit und merklichem Interesse. Je näher Alexej kam, desto besser konnte er erkennen, daß Grigorijs Gesichtsausdruck seiner Haltung entsprach, nämlich aufmerksam und interessiert. Alexej sah allerdings nichts, was den Bulgaren dort unten hätte interessieren oder seine Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch nehmen können. Grigorij trippelte sogar auf der Stelle, als warte er auf etwas, das unbedingt gleich geschehen müsse. Als Alexej auf seinen alten Kameraden zutrat, reagierte dieser überhaupt nicht. Alexej blieb neben ihm stehen. Unter ihnen sah man nur Sand und Wasser. Nach einigen Minuten schaute Grigorij seinen ehemaligen Wohnheimkollegen verblüfft an. Hast du es gesehen, fragte er. Was habe ich gesehen, fragte Alexej. Hm, machte Grigorij, hm, hm. Dann richtete er sich auf und stand plötzlich sehr gerade da. Alexej fiel zum ersten Mal auf, wie klein Grigorij war. Er schien kleiner geworden zu sein in den letzten Jahren. Übrigens weiß ich jetzt, wo wir die Lichter bekommen, sagte Grigorij und blinzelte Alexej fröhlich an. Welche Lichter, fragte Alexej. Weißt du nicht mehr, immer haben wir uns Gedanken über die Lichter gemacht, es solltenganz spezielle Lichter sein, wir hätten zum Beispiel in die Drogerie gehen können, nicht wahr, in die Drogerie, denn in Winsen gibt es eine Drogerie, den Schlecker, also, kurz gesagt, eine Drogerie. Alexej sagte, er verstehe kein Wort.
    Dann erinnerte sich Alexej daran, wie sie in Winsen damit beschäftigt gewesen waren, Heiligenlichter zu finden, und wie sie dafür zunächst bis nach Lüneburg gefahren waren, denn es mußten Öllichter sein. Als sie sich die Fahrten nach Lüneburg nicht mehr leisten konnten, hatte Grigorij den Vorschlag gemacht, einfache Teelichte zu kaufen. Offenbar sprach er davon. Er sprach vom Schlecker, der Bedienung … diese Bedienung, sagte er, habe alles über ihn gewußt, von Anfang an alles gewußt … andererseits … sie habe, glaube er, gar nichts gewußt, wir sprachen mit ihr, erinnerst du dich, und bis heute frage ich mich: Hat sie alles verstanden und nur so getan, als habe sie nichts verstanden, oder hat sie nichts verstanden und nur so getan, als verstehe sie alles. Darum dreht sich übrigens, kurz gesagt, die ganze Welt. Ja, sagte Alexej und stutzte. Nein, nein nein, brummte Grigorij, das ist es nicht. Ganz und gar nicht. Es ist schade … schade … das Licht. Das Licht, Alexej, und die Ikone stand damals so dunkel in meinem Zimmereckchen, dunkler als in deinem, und jetzt steht sie so hell, sie leuchtet und strahlt. Grigorij, sagte Alexej, ich habe eine Frage an dich. Bist du auf dem Weg nach Hause? Ich habe vor einiger Zeit, als ich bei dir war, meine Tasche bei dir stehenlassen, und ich würde sie gern holen. Grigorij lächelte mit hellem Gesicht. Er griff seinen ehemaligen Kollegen am Arm, seineGedanken glitten offenbar in vergangene, bessere Zeiten zurück, denn er sagte: Nichts ist dauerhafter als ein Provisorium. Ja, sagte Alexej und lächelte ebenfalls, nichts ist dauerhafter als ein Provisorium, das war damals unser Spruch. Grigorij kicherte, dann drehte er sich abrupt um und ging langsam los. Alexej folgte ihm. Grigorij blieb unterwegs stumm, dann sprudelte es wiederum aus ihm heraus. In seinem wirren Duktus gab er Alexej einen

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