Sanssouci
der Gregoriusstraße auf, um sie mit ihren Fürsorgephantasien zu umhegen. Kupski meinte das Mädchen unbedingt wieder auf eine gerade Bahn bringen zu müssen. Man konnte die Uhr danach stellen, wenn sie abends nach Dienstschluß um halb sechs auf Hornungs Grundstück erschien und das Mädchen dazu nötigte, mit ihr im Garten ein Glas Limonade oder kalten Tee zu trinken. Mai war fast immer zugegen, manchmal auch Alexej. Weil aber Heike eine ziemliche Renitenz entwickelte und beim besten Willen nichts aus ihr herauszubekommen war, ließ Frau Kupski ihre Bemühungen bald wieder sein, zog sich enttäuscht zurück, verschwand in ihrem Amtsgebäude, stürzte sich in Kulturarbeit und Max-Hornung-Projekte und wurde im Garten in der Gregoriusstraße nicht mehr gesehen.
Mai und Alexej hatten nicht weniger als Heike das Gefühl, hier sei ein Angriff erfolgreich abgewehrt worden.
Die Tage im Garten in der Gregoriusstraße verliefen jetzt ruhig. Heike lag meistens auf einem Handtuch unter den grünen Zweigen des Apfelbaums, Mai trank Wein in der Laube und arbeitete, oder er saß mit Alexej und FrauSchmidt auf den Gartenstühlen und trank Kaffee. Arnold war ebenfalls öfter zugegen und lag neben seiner Schwester im Schatten des Baumes.
Auch der Postbote sollte erwähnt werden, der für einige Tage dieser trauten Runde zuzurechnen war. Er kam jeden Morgen gegen zehn, da saß die »Familie« bereits (oder noch) im Garten beim Frühstück und bei der Zeitung (Heike und Arnold konnten morgens mitunter einen unglaublichen Appetit entwickeln). Der Bote brachte immer eine Handvoll Briefe, teils an Hornung gerichtet, teils an Mai. Die Jugendlichen öffneten die Post, das gegenseitige Vorlesen und die allgemeine Belustigung bei der Zurkenntnisnahme des Inhalts (etwa wenn wieder einmal ein Brief vom Kulturamt, von Kupski oder von Wenk dabei war) konnte mitunter bis zum Mittag dauern, dann begannen die Zwillinge Bier zu trinken oder fuhren zum See. Mai war über das Erscheinen des Postboten zunächst verwirrt gewesen, weil er ein gelbes Postfahrrad fuhr. Aber er hatte sich daran gewöhnt. Der Postbote stieß ein, zwei Häuserecken vorher regelmäßig auf den alten Baron und konnte Mai deshalb am Gartenzaun den jeweils neuesten Stadtklatsch berichten.
An einem Tag brachte er für Mai einen Brief, der als Absender den Namen einer Potsdamer Rechtsanwältin trug. Mai war an diesem Vormittag nicht da, und die Jugendlichen legten ihm diesen Brief auch nicht vor.
Der Engel von Sanssouci
Als im Lokalteil eines großen Boulevardblattes ein Foto Heike Meurers erschien, wurde die Zeitung in Potsdam wesentlich häufiger gekauft als sonst. In vielen Kneipen sah man an diesem Tag die Ausgabe auf der entsprechenden Seite aufgeschlagen. Einerseits gab es die Verfechter der Moral, sie waren empört. Andere hingegen hätten Heike viel lieber auf Seite eins der betreffenden Zeitung gesehen. Auch Herr Hofmann erlebte solche Gespräche in seiner kleinen Wirtschaft in der Gutenbergstraße, wo er stets am Tresen neben dem Stammtisch stand und verfolgte, wie der kleine Stammtisch restverwertete, was der große Stammtisch, die Medien, ihm an Material überantwortet hatte. Als er der öffentlichen Verhandlung über das Mädchen beiwohnte, konnte er nicht umhin, seinem Gartenchef für diesen sauber und nach klassischen Prinzipien ausgeführten Schlag Respekt zu zollen.
In diesen Tagen der zunehmenden Berühmtheit Heikes kam auch die Sekretärin einmal in ihre Nähe. Es war eine zufällige Begegnung im Café Fajngold.
Die Sekretärin hatte die Geschichte in der Zeitung mit großem Interesse verfolgt. In der Zeitung hatten zwar, abgesehen vom Bild Heikes, keinerlei Fakten gestanden, vielmehr war jeder Sachverhalt als Frage gekennzeichnet worden (»Nimmt diese lüsterne Schülerin Potsdamer aus, indem sie ihnen Schulhofsex bietet?« etcetera ). Aber das war egal, die Sekretärin identifizierte das Mädchen wie die meisten in der Stadt seitdem ausschließlich mit Sex.
Jetzt saß das Mädchen auf einem Barhocker neben ihran der Theke im Fajngold und hielt ein Bier in der Hand. Eben noch hatte die Sekretärin ein Magazin durchgeblättert, Tee getrunken, nach draußen geschaut und ihren Tagträumen freien Lauf gelassen. Jetzt konnte sie ihre Gedanken nicht mehr von dem Mädchen lösen, das eben hereingekommen war. Heike entfaltete eine ungeahnte Wirkung auf die Sekretärin. Sie schaute Heike an und sagte sich: Dieses Mädchen hat bereits mit siebzehn alles erreicht
Weitere Kostenlose Bücher