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Sanssouci

Sanssouci

Titel: Sanssouci Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Maier
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Selbstmord habe er wiederum Gott geweiht, damit habe er versucht, vor Gott davonzulaufen, weil er zu schmutzig für Gott gewesen sei, wie er damals gedacht habe … aber er hatte nichts verstanden … niemand sei für Gott zu schmutzig … er habe diesen an sich naheliegenden Gedanken lange Zeit nie gehabt: daß niemand für Gott zu schmutzig sei … er sei ihm einfach nicht eingefallen. (Alexej wußte ganz bestimmt, daß Grigorij Natchev niemalsSoldat gewesen war – er kannte seine Schwester und hatte einen gewissen Überblick über Grigorijs Leben.) Als er begriffen habe, daß man für Gott nicht zu schmutzig sein kann, habe er lange Zeit im Dreck gelegen. Er habe sich sogar immer wieder absichtlich in den Dreck geworfen, gesuhlt habe er sich darin, aber nur in seinem Geiste, es sei auch nicht mit Vorsatz geschehen … und es seien übrigens alles nur Worte »im nachhinein«. Ich bin damals gewesen wie du, sagte er zu Alexej in einem Augenblick bemerkenswerter Klarheit. Aber jetzt mache ich Worte »im nachhinein«, und manchmal vergesse ich, ob ich mich damals wirklich beschmutzt habe oder ob ich mir das erst später zurechtgelegt habe … Ich habe mich immer vor dem Licht in den Schmutz geworfen, aber Gott hob mich aus diesem Schmutz, nein, er ließ mich nicht fallen, er hob mich heraus, und ich sah diesen Schmutz von oben, und ich sah, daß es kein Schmutz war, sondern daß auch da überall das Licht war, verstehst du? Auch damals im Schlecker sah ich es. Ich sah es damals jeden Tag. Auch in den Augen des Mädchens dort, das bediente. Sie war jung, erinnerst du dich nicht? Es war das Licht, aber, wie ich jetzt begriffen habe, wiederum nur die Andeutung des Lichtes. Ich bin ein Jünger des Lichtes, dachte ich für einen Moment, an einem Tag in Winsen, ich dachte es für einen Moment, aber dann wußte ich sofort, daß ich kein Jünger bin. Habe ich dir das eigentlich erzählt, daß ich kein Jünger bin? Ich bin aber auch nicht abgefallen … hier, ich kann dir Schriften zeigen, Schriften, die beweisen könnten, daß ich nicht abgefallen bin, übrigens habe ich selbst eine Schrift verfaßt, möchtest du sie lesen?
    Alexej war fassungslos. Er saß sprachlos da. Grigorij redete immer weiter, stand auf, lief drei Schritte durch das winzige Zimmer, hin und her und hin und her, dann setzte er sich wieder und faselte weiter wirres Zeug. Am Ende versuchte er Alexej unbedingt davon zu überzeugen, daß er vielleicht bald sterben müsse, weil er heute das Licht gesehen habe, genau heute, nicht das Licht in Andeutungen, sondern das Licht, das ganze Licht, der Engel habe ihm das Licht gebracht, aber er dürfe darüber nicht reden, und er habe Angst, Angst, jetzt sterben zu müssen, aber andererseits habe er keine Angst, denn vom heutigen Tag an sei alles anders … er lebe jetzt vermutlich im ständigen Licht … vielleicht sei es das ewige Leben. Das ewige Leben im Tod … oder der ewige Tod im Leben … dort. Alexej: Wo dort? Er: Im Park … mit dem schönen Namen. Er blickte Alexej an. Wußtest du, daß ich erst nach Jahren begriff, was das heißt, Sanssouci. (Vor sich hin starrend:) Ich kann ja kein Französisch. Grigorij verstummte. Er saß wieder neben Alexej und nickte bedächtig vor sich hin. Alexej stand auf, nahm seine Tasche und sagte: Grigorij, hör mich an, komm auf den Kapellenberg! Sei oft da, ich bitte dich. Laß unseren Kontakt nicht wieder abreißen! Ich möchte dich dem Erzpriester vorstellen. Warum nur bist du nie zu ihm gegangen? Ich verstehe vieles von dem, was du sagst, nicht. Ich bitte dich um dieses eine: komm einmal auf den Kapellenberg. Versprichst du mir das? Ja, sagte Grigorij, der wieder Tränen in den Augen hatte, ich verstehe, was du meinst. Ich verstehe, was du meinst. Alexej: Ich bitte dich darum, weißt du, es würde mich freuen. Er: Ichverstehe, ich verstehe sehr gut, was du meinst. Auf den Kapellenberg, jaja. Grigorij auf den Kapellenberg. Aber der Engel … wußtest du übrigens, daß es Engel gibt? Ich habe seit meinem fünfzehnten Lebensjahr daran geglaubt. Zuerst war es mehr … eine Art Entschluß, also, daß es Engel gibt. Ich hatte es so beschlossen, und dann habe ich gewartet (alles Worte »im nachhinein«, alle »im nachhinein«, aber das ist egal!). Grigorij wartete seit seinem fünfzehnten Lebensjahr. So ist das. Weißt du, daß die ganze Welt voller Engel ist? Sie sind überall, fliegen um uns herum, und sie sind schön, die Engel. Die Engel bringen das Licht. Das war, wie

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